Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
Augenblicke des Wiedersehens hinweg. Er machte auch später keinerlei Anspielung. Einzig der rote Strauß vor ihr kündete von der vergangenen Nacht. Er lag vor ihren gestreckten Füßen, die vielen offenen Blumen der Erfüllung huldigten ihr mit den Purpurschattierungen der Farbe, die der Leidenschaft gehört.
    Und Bálint fragte erst später, als sie sich schon auf dem Heimweg befanden: »Nicht wahr … so wie gestern?«

    Traumhafte Tage vergingen. Die Schönheit Venedigs und deren Unwahrscheinlichkeit umfingen sie. Die beiden schauten manchmal in eine Kirche hinein, besuchten ab und zu ein Gemälde, das irgendwo in einer »Scuola« versteckt war, lebten aber nicht das Leben von Touristen. Zumeist befanden sie sich in süßer Müdigkeit in der Gondel, wo sie im Schatten der Überdachung auf den weichen Kissen lagen – Hand in Hand, solange sie in der Stadt fuhren, und in Umarmung draußen in der Lagune. Sie legten weite Strecken zurück, geführt stets vom gleichen Gondoliere, der das Boot hinter dem Zelt vorantrieb, als brächte sie ein Zauber sachte vorwärts. Und vor ihnen lagen, spiegelnd und perlmuttglänzend, einzig der unendlich scheinende Wasserspiegel und der unendliche Himmel. Alles in der weiten Ferne war unwirklich, und was sie erblickten, eine Vision ihres Glücks. Hielten sie bei einer der Inseln, bei San Francesco, wo eine jahrhundertealte Zypresse stand, bei San Spirito oder in der von Schilf umgebenen Kirche von Torcello, wo das magere Kruzifix seine Arme vielleicht für sie ausgebreitet hielt, dann schien es, als stehe die Zeit still, als gebe es keine Außenwelt mehr. Nichts gab es außer ihrer Liebe.
    Von dem, was sie am ersten Abend erwogen hatten, sprachen sie nicht mehr. Ohne Worte hatten sie sich darauf geeinigt, es nicht mehr zu erwähnen. Es rumorte in ihnen beiden, doch wenn es sich meldete, gingen sie darüber hinweg. Bálint gab sich ganz diesem Lebensgefühl hin und Adrienne ebenso, wenn sie beisammen waren.

    Die Vormittage verbrachte Adrienne am Strand, der in scharfem Sonnenschein lag, nicht im Dunst der Lagunen. Sie und die Schwestern pflegten lange zu schwimmen. Alle drei waren vorzügliche Schwimmerinnen, denn sie hatten im See auf der Siebenbürger Heide seit ihrer Kindheit viel gebadet und fühlten sich im Wasser zu Hause. Sie blieben aber jetzt nicht beieinander. Adrienne badete für sich, nicht mit ihren Schwestern, denn sie hatte bemerkt, dass sich Judiths Gesicht verhärtete, sobald sie sich bei ihr befand. Es sollte reichen, wenn sie beim Mittagessen zusammen waren sowie am frühen Nachmittag, wenn sie in der Halle lasen, während Fräulein Morin oben Siesta hielt. So schwamm also Adrienne allein – stark ausholend, wild, mit nie nachlassender Lust, so wie sie Schlittschuh zu laufen oder zu tanzen pflegte. Sie schwamm oft in das schon dunkler blaue, tiefere Meer hinaus.
    Bei der Rückkehr von diesen längeren Ausflügen blieb sie, bevor sie aus dem Meer stieg, im niedrigen Wasser stehen, wo die Gischt nur noch unter ihrem Knie dahinflog. Lange stand sie manchmal da in ihrem schwarzen Trikot, das sich nass glänzend an ihren Körper schmiegte, als wäre es geschliffener Marmor.
    Wie sie da gerade aufgerichtet verharrte, wurde sie am Strand wohl von manchem Herrn mit dem Feldstecher beobachtet. Sie jedoch kümmerte sich nicht darum; für sie gab es keinen Mann außer dem einen, der sie am Nachmittag in der Gondel erwarten würde. Mit erhobenem Haupt und zusammengezogenen Brauen blickte sie hinaus in die Ferne. Die sich überstürzenden Wellen kamen ihr langsam entgegen; das hier noch seichte Wasser, vom gelben Sand durchwirkt, war gelblich grün. Die Tiefe begann erst viel weiter draußen.
    Das Meer lag leer da. Nie tauchte ein Schiff in der Nähe auf. In großer Entfernung blinkte manchmal ein Segel, das sich aber gegen die Küste von Istrien entfernte, denn reiche Fischgründe hat die Adria nur dort. Ein einziges, verankertes Bötchen schaukelte auf dem kobaltblauen Meer: das Boot der Küstenwache. Seine Besatzung gab acht, dass niemand allzu weit hinausschwamm, wo die Strömungen selbst den besten Schwimmer mitzureißen drohten, sodass es für den, der dort hineingeriet, keine Rückkehr mehr gab. Sie schaute diesem Boot, das weit draußen, beinahe am Horizont verankert lag, oft lange zu. Als ob sie dabei gegrübelt hätte.

XI.
    Am Samstag vor dem zweiten Julisonntag machte der Gondoliere Riccardo Lobetti einen Vorschlag. Er, sonst – zumindest ihnen gegenüber –

Weitere Kostenlose Bücher