Die Schrift in Flammen
zerstreuten, auf anderes achtenden Kuss und schob ihn zur Tür hinaus.
Abády kam an einem leuchtenden Frühnachmittag in Venedig an. Seine Gondel brachte ihn in ein kleines italienisches Hotel zweiter Klasse neben dem Markusplatz, wo Ausländer nicht abzusteigen pflegten. Um sieben Uhr ließ er sich zur Ponte Canonica fahren. Genau so hatten sie es in ihrem Briefwechsel ausgemacht. Adrienne, die im Hotel Dandolo an der Riva wohnte, konnte durch die hinteren kleinen Gassen leicht und ungesehen hinkommen. Sie wohnte allein dort. Ihre Schwestern waren mit Mademoiselle Morin in einem der Palace Hotels am Lido untergebracht; Adrienne begab sich jeden Tag zu ihnen hinaus, sie badete und aß mit ihnen zu Mittag, und am Nachmittag oder am Abend kehrte sie zurück. »Es ist besser so … Ich kann beim Rauschen des Meers nicht schlafen, und auch für Judith ist es besser, wenn ich nicht ständig um sie bin«, sagte sie Margit. Vielleicht hätte sie nicht zwei Gründe nennen sollen. Einer allein hätte womöglich genügt. »Du hast recht«, antwortete die kluge, kleine Margit, »ich habe auch bemerkt, dass Judith dir gegenüber immer noch feindlich gesinnt ist. Besser, wenn du nicht immer da bist.« Als aber Margit die Schwester am dritten Tag bis zur Anlegestelle des Dampfboots begleitete, erschien, nachdem das Schiff abgelegt und sie sich auf den Rückweg zum Hotel Palace gemacht hatte, ein kleines, heimliches Lächeln um ihren Mund.
Die Ponte Canonica ist hinter San Marco. Von der Piazza her ist sie nur durch die Basilika zu erreichen und von jenseits des Kanals durch enge Gässchen. Neben dem hohen Bogen der weißen Marmorbrücke senken sich Treppen hinunter zum Kanal. Bálint hieß seine Gondel auf der Seite der Kirche warten. Er selber stellte sich zuoberst auf die Brücke, um Addy beim Herannahen schon von weitem zu erkennen.
Kaum hatte es im Campanile melodisch sieben geschlagen, erschien sie; in ihrem aufrechten Gang kam sie daher. Das dünne, mattgrüne Kleid zeichnete ihre langen Beine nach. Bálint grüßte nicht in ihre Richtung, sondern schritt zurück zur Gondel. Die Frau stieg nach kurzer Zeit zu. Der Gondoliere fragte nichts, sondern fuhr gleich los. Kein Volk ergreift die Partei der Liebenden so wie die Italiener. Die Franzosen tun es vielleicht auch, doch sie halten es für selbstverständlich, während die Italiener, zumal wenn sie in Venedig zu Hause sind, in der ewigen Hauptstadt der Verliebten, der Liebe mit irgendeinem aktiven, romantischen Wohlwollen dienen. Riccardo Lobetti – so hieß der Gondoliere – fragte erst in den sich verengenden Kanälen, wohin die Fahrt gehe.
»Hinaus in die Lagune!«, antwortete Bálint.
Das Ruder hinter ihnen tauchte plätschernd, in langsamem Rhythmus ins Wasser. Die Gondel schaukelte sachte bei jedem Zug. Ebbe herrschte, die Füße der hohen Häuser, an denen sie vorbeifuhren, waren mit Moos verbrämt. Kein Laut, kein Lärm. Nur bei den Kreuzungen schallte der lange Gondoliereruf: »Saa-iii!« Und von drüben aus dem Unsichtbaren ertönte zur Antwort die Stimme des anderen Schiffers. Selbst wenn ihnen größere Boote entgegenkamen, prallten sie nie aufeinander, stießen nie zusammen, sie streiften einander nicht einmal. Wie Traumschiffe glitten sie aneinander vorbei. Hier war alles wie im Traum. Um sie und über ihnen das niedrige Leinenzelt des Boots. Sie selbst, auf den Kissen weit unten zurückgelehnt, beinahe liegend, Hand in Hand, wort- und bewegungslos. So ging es auf dem glatten Wasserspiegel hinaus zur Lagune, wo sich das Bild der Landschaft bis zur Unendlichkeit öffnete. Noch schien die Sonne, aber alles wirkte wunderbar matt, es war ein lebendiges Grau, in glänzenden Perlmuttfarben von Muscheln und den leisen Tönen des Regenbogens. Der graublaue Himmel und das blaugraue Wasser gingen ineinander über, sie verschmolzen in dunstiger Ungewissheit. Eine Insel als Streifen in der Ferne, davor kleinere Inseln, bespickt mit schwarzen Ausrufzeichen – mit Zypressen. Hier und dort ragten auf drei Beinen Signalstangen aus dem Wasser. Sonst nichts. Und sie beide waren allein in der lautlosen Lagune. Adrienne legte ihren breiten Strohhut ab, sie nahm ihn in die rechte Hand, und langsam glitt sie auf Bálints Schulter hinüber. Sie wehrte ihn aber ab, als er sie küssen wollte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte sie in die Ferne. Sie schien zu grübeln. Vielleicht vergegenwärtigte sie sich die Geschehnisse ihrer Liebe, die sie hierher, in die Arme
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