Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
dieses Mannes geführt hatten. Sie besichtigte ihre Erinnerungen. Es war das Vorgefühl einer schicksalhaften Entscheidung. Und ihres Schreckens. An der Schwelle großer Ereignisse pflegt es uns so zu ergehen, wenn vor uns die Vergangenheit aufzieht, jene Vergangenheit, die nun im Begriffe ist zu versinken, da sich das Tor einer ungewissen Zukunft bereits auftut … Auch Bálint verspürte Ähnliches. Adriennes ernst erwägendes Gesicht rief in ihm die Worte ihres Abschiedsbriefs in Erinnerung.
    Ob sie wohl immer noch galten? Hatte sie das immer noch im Sinn? War das der Preis, den er für die vier Wochen bezahlen würde? Sollte er den Besitz ihres Körpers als Geschenk annehmen – ihre Seele gehörte ihm ohnehin –, wohl wissend, dass dafür ein solcher Preis zu entrichten war? Denn wenn es so sein sollte, wenn sich Addy danach ums Leben brächte, dann wäre das entsetzlich, schlimmer als der Tod, wie könnte er allein weiterleben im Bewusstsein, sie gemordet zu haben? Er musste das klären. Ihr das Versprechen abringen, dass sie nichts Derartiges begehen würde.
    Er brauchte sich beim Flüstern nicht an ihr Ohr zu beugen, der Kopf der Frau lag eng bei ihm, vor seinem Mund.
    »Darf ich nachts kommen?«
    »Erst nach Mitternacht … Zuvor gibt es noch Leute in der Halle.«
    Bálint drückte ihre Finger. Er zögerte kurz und fragte dann lauter, vernehmbar: »Wenn … wenn es geschehen sollte … dann bringt dies nicht das mit sich, was du geschrieben hast?«
    Die Frau gab keine Antwort. Erst nach wiederholter Frage erwiderte sie stockend: »Was kümmert dich das … frag nicht danach … du sollst nicht daran denken …«
    »Schau, Addy … so ist das nicht, das darf nicht sein.« Und nun begann er die fürchterlichen Gedanken zu erläutern, die ihm zuvor durch den Kopf gegangen waren. Er sprach lange. Hundertmal legte er dar, wie fürchterlich es wäre. Seine Stimme war heiß, er bat, er flehte: »Nicht um den Preis, nicht um diesen Preis!«
    Die krausen Locken, die seinen Mund streiften, zeigten an, dass die Frau den auf seiner Schulter ruhenden Kopf von Zeit zu Zeit schüttelte. Endlich, nach langer Zeit und nach vielen Worten sprach auch sie langsam: »Ich könnte hernach nicht weiterleben … aber für mich ist es kein Opfer … ich habe es schon oft erwogen …« Und Bálint führte wieder lang seine Gründe an, und Adrienne antwortete abermals kurz: »Mich scheiden lassen, das siehst du ein, kann ich nicht … Wünsche nicht, dass ich leben soll … ich könnte nicht …«
    Sie waren schon weit in der Lagune draußen; Dunkelheit hatte sich bereits herabgesenkt. Auf den dreibeinigen Signalstangen, die im Wasser standen, leuchteten hier und dort Lichter auf. Riccardo wendete die Gondel zur Stadt zurück.
    Die leicht belegte Stimme des Mannes ertönte: »Aber ich könnte nicht weiterleben … dann gäbe es nichts anderes, als dass auch ich … dessen kannst du gewiss sein.«
    Adrienne setzte sich auf, wandte sich um und sagte Bálint beinahe ins Gesicht: »Das nicht! Das ist etwas anderes. Du liebst das Leben, dir ist es nicht erlaubt!«
    »Aber so gäbe es auch für mich keine andere Lösung!« Er sprach aufrichtig, wenn auch unwissend, doch er mochte hoffen, Adrienne auf solche Art zur Sinnesänderung zu bewegen. Die Frau aber sagte jetzt etwas anderes: »Nein! Das nehme ich so nicht an … Dann bleibt nur eines: Du reist wieder ab! Dann geht es nicht …«
    »Dann bleibt nur das …«
    Lange schwiegen sie, und so saßen sie erneut nebeneinander. Unendliche Traurigkeit verbreitete sich über dem zunehmend dunklen Gewässer. Nun war es aus! … Nun war es endgültig aus! Das rußfarbene Schattenbild der Stadt mit ihren vielen Türmen rückte immer mehr in ihre Nähe. Bálint fragte, als sie in den engen Kanal einbogen: »Den Abendzug erreiche ich nicht mehr. Darf ich zum Gespräch kommen, so wie bisher? Morgen will ich dann verreisen.«
    »Ja … so wie bisher …«

    Kein Licht brannte in Adriennes Zimmer. Sie hatte die Lampe nicht angezündet, denn sie hatte, bevor Bálint kam, lange geweint; und sie wollte nicht, dass er das ihren Augen ansah. Völliges Dunkel herrschte dennoch nicht. Das Licht der Bogenlampe an der Riva fiel durch das Moskitonetz hindurch auf die Zimmerdecke, die es als Dämmerschein auf das Bett zurückwarf. Frauenduft vermischte sich im Zimmer mit dem Geruch der Lagune, der sich nachts ein wenig salzig und ein wenig modrig anfühlte.
    Bálint stützte sich auf die Kissen neben dem Kopf der

Weitere Kostenlose Bücher