Die Schrift in Flammen
junge Frau fragend an, und schließlich erkundigte er sich auch: »Was heißt das?«
»Nichts. Nichts Wichtiges. Nichts von Bedeutung. Wenn das Kind krank wäre, würden sie mich nicht rufen. Da braucht man mich nicht. Auch sonst nicht, aber in solchen Fällen bin ich besonders überflüssig. Als meine Tochter vor einem halben Jahr Fieber hatte, verschloss man vor mir das Kinderzimmer. Meine Schwiegermutter richtet alles. Kaum hatte ich das Kind auf die Welt gebracht, schon nahm man es mir weg. Denn ich verstünde nichts davon, so sagten sie. Beide sagten das. Sie meinen, ich verstehe von nichts irgendetwas. Ich konnte versuchen, was ich wollte. Nein. Sie brauchen mich nicht, brauchen nichts von mir, bloß … bloß ein schönes Möbelstück oder ein Haustier … das … das allein bin ich dort.«
Sie ließ eine lange Pause folgen und änderte dann den Ton: »Als ich ihn heiratete, glaubte ich, dass ich nützlich sein könnte. Bei seiner Arbeit helfen, ihm zur Seite stehen. Wirklich. Als er mir den Hof machte, auch in der Verlobungszeit, setzte er mir immer derartige Dinge auseinander, oh, wie oft! Dass er allein sei, dass er niemanden um sich habe. Er wolle als arbeitsamer und fleißiger Mann für jemanden … mit jemandem gemeinsam und deswegen … Und nachher? Schon am nächsten Tag wurde er ganz anders, wie wenn alles, was er erzählt hatte … nur so! … wie wenn es leerer Schall gewesen wäre …«
Abermals schwieg sie und blickte hinaus auf die Landschaft. Sie dachte an ihre Revolten in der Mädchenzeit, an die vielen konventionellen Schranken, welche für sie, im Ausland während Jahren an die freiere, menschlichere Atmosphäre des Internats gewöhnt, eine so unerträgliche Zurücksetzung bedeutet hatten. Kein auch nur halbwegs wertvolles Buch durfte sie lesen, kein ernsthaftes Theaterstück sehen. Die unschuldigsten Mädchenbriefe wurden geöffnet, bevor sie in ihre Hand gelangten. Keine Minute durfte sie ohne Garde-Dame irgendwo verweilen, stets wurde sie bewacht und beobachtet, jedes Wort, jede Geste gab der Mutter einzig dazu Gelegenheit, sie zu schelten. Sie wurde von ihr selbst als Erwachsene noch wie ein Kleinkind behandelt, das man ständig zurechtweisen und herumkommandieren muss. Und sie erinnerte sich an eine Szene, die damals bei ihrem Beschluss, Pali Uzdy zu heiraten, vielleicht am schwersten gewogen hatte. Adrienne war bei der Laczók-Verwandtschaft zur Jause geladen. Die alte Erzieherin, Fräulein Morin, lag krank im Bett, und Frau Milóth machte noch ihr Mittagsschläfchen. Da sie die Ruhe der Mutter nicht stören wollte – wann immer sie das tat, zürnte sie sehr –, und weil sie hörte, dass das Gespann vor dem Tor schon bereitstand, ging sie arglos hinunter, stieg ein und ließ sich in der geschlossenen Kalesche, mit einem Diener auf dem Bock, zu der kaum fünf Minuten entfernt wohnenden Tante Laczók fahren.
Die unerhört kühne Tat zeitigte entsetzliche Konsequenzen. Die Mutter sagte ihr die schrecklichsten Dinge; sie sprach von Verwerflichkeit, Verrohung, Undankbarkeit und brachte hundert andere Anklagen vor, die sie nur darum leicht verhüllte, weil sie vor der eigenen Tochter die Prostitution nicht beim Namen nennen konnte. Auch der Vater tat sein grässlich großes Maul auf und brüllte, doch dies einzig darum, weil sich ihm dazu eine Gelegenheit bot. Das war der Augenblick, da sie beschloss, Pali Uzdys Werbung anzunehmen. Sie hielt ihn für einen Mann, der sich ernsthaft seinem Beruf widmete, für jemanden, der selten in die Stadt fuhr und in mancher Hinsicht anders war als all die nichtsnutzigen Zechbrüder. Ihr Jawort gab sie nicht aus Verliebtheit, ach, keineswegs, sondern aus Sehnsucht nach Befreiung. Endlich dieser Kindheitsgefangenschaft entfliehen! Herrin des eigenen Schicksals sein, sich einer menschenwürdigen Aufgabe widmen …
Am Ende dieser lang angereihten Gedanken sagte sie: »Ich weiß, Sie haben nicht verstanden, warum ich Pali geheiratet habe. Oh, leugnen Sie es nicht! Ich habe das immer gespürt, jedes Mal, wenn wir uns getroffen haben. Aber hier zu leben, das war für mich unmöglich. Ich hielt es nicht mehr aus. Und ich habe geglaubt, dass man mich dort brauche. Dass die Berufung, die Hilfe … dass dies wichtig sei. Ich habe das geglaubt. Und nun bin ich auch dort niemand. Bloß dass ich lesen kann, was ich will, und allein im Wald spazieren darf. Kennen Sie die Region den Almás entlang? Wunderbare Wälder gibt es dort …«
»Arme Addy«, sagte Bálint
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