Die Schrift in Flammen
Schwiegersohn hatte sie sich nicht gerade gesehnt – er war ein Fremder, man wusste auch nichts von seiner Familie –, dieser versonnen blickende, einsilbige Offizier, dieser stämmige Athlet war womöglich gar eher dumm, er schien aber ein guter Junge zu sein, und er würde Dodó gewiss auf Händen tragen. Und Verstand, sagte sich die Mutter, habe Dodó auch für zwei.
Egon traf Judith bei den Gyalakuthys. Mit dem vorzüglichen Gefühl der Instinktmenschen spürte er sogleich, dass das Milóth-Mädchen an ihm Gefallen fand. Bei Dodó dagegen sah er kein Anzeichen, das Ähnliches angedeutet hätte. Es verbot sich folglich, das ganze Geld auf einen einzigen Favoriten zu setzen, man musste auch auf einen hoffnungsvollen »Outsider« wetten. Hedging ist notwendig, sagte sich Wickwitz, der seine Gedanken in der Sportsprache auszudrücken pflegte. Judiths Mitgift, wohl wahr, dürfte kaum groß sein – es gibt bei den Milóths drei Mädchen und einen Jungen! –, doch im schlimmsten Fall, wenn Dodó nicht wollte … die Milóths würden seine Schulden, wenn ihre Tochter erst einmal seine Frau wäre, ob mit schlechter oder mit guter Miene, am Ende doch irgendwie regeln. Und die Zeit verrinnt, der Urlaub geht Anfang Dezember zu Ende. Dann muss man bezahlen. Auf welche Weise immer, aber man muss.
Etwas regte sich im Gras, genau zwischen Bálint und Adrienne. Der Igel! Er war unter den ochsenzüngigen Blättern des Breitwegerichs hervorgekommen, die sich neben der abgestützten Hand der Frau ineinander falteten, ganz nah, von ihnen nur einige Spannen entfernt. Er kam ruhig, vertrauensvoll heraus. Einer der Hirschlederhandschuhe Adriennes, den sie hatte fallen lassen, lag vor ihm. Dem Igel fiel das auf. Er wandte sich in die Richtung, und mit seinem fein behaarten Rüssel, an dessen Ende sich die Nasenflügel hin und her bewegten, beschnupperte er aufmerksam den Handschuh. Dann spähte er mit seinen glänzenden, stecknadelkopfkleinen Augen in die Runde. Seine Stacheln lagen in flacher Ruhe, als trüge er einen weichen Pelz. Ein reizendes kleines Tier. Er zog auf dem Pfad los, nach hinten, ohne Eile. Unterwegs schnupperte er hier und dort. Mit seinen Bewegungen gemahnte er an einen Bären in Miniatur. Dann war er weg. Erstaunlich schnell und ohne Geräusch hatte er sich verzogen. Selbst die Grashalme hinter ihm schwankten nicht mehr. Als er endgültig verschwunden war, riefen Zoltánka und die Mädchen jäh: »Warum haben Sie ihn nicht gefangen? Er war ja neben Ihnen! Ach, wie dumm! Warum hast du ihn nicht gepackt, Addy?«
Adrienne antwortete nicht gleich. Dann sagte sie: »Es ging nicht. Und es sollte auch nicht sein. Warum soll der Arme nicht nach seiner Natur und in Freiheit leben?«
Es schien, als käme die Stimme der Frau von sehr weit …
Unterhaltung allgemeiner Art nach dem Nachtmahl im Salon der Gräfin. Ákos Milóth führte das große Wort. Er freute sich mächtig, dass sich jemand fand, dem er seine unzähligen Geschichten aus seiner Dienstzeit unter Garibaldi berichten konnte. Die Familie kannte die Historien längst auswendig und war um keinen Preis mehr bereit, sie sich anzuhören. Dabei bereitete es ihm so großen Genuss, diese Sagen vorzutragen. Ausgezeichnet schilderte er die Begebenheiten, die er schon hundertmal beschrieben und dabei geformt hatte. Für den, der sie noch nie vernommen hatte, waren sie auch interessant. Er hatte mit den »Mille di Marsala« am Feldzug in Sizilien teilgenommen, dabei zahllose Abenteuer erlebt, über die er ohne Angeberei und mit Witz zu erzählen verstand.
Die Töchter litten es aber nicht lange. Sie flohen hinaus in den Esssaal zu dem bereits begonnenen Puzzle. Das damals modische Auslegespiel hatten sie tags zuvor von Siklód mitgebracht und sich mit wilder Leidenschaft darangemacht, es zusammenzusetzen.
»Kommen Sie her, BA! Helfen Sie uns!«, riefen sie bald zu Bálint hinüber, und da er, vom Erzählten gefesselt und dem Hausherrn gegenüber höflich, nicht gleich gehorchte, kam Adrienne herein, um ihn zu holen. Sie ergriff ihn bei der Hand, zerrte ihn lachend vom Kanapee hoch und führte ihn ins Nachbarzimmer. Der alte Zakata brüllte etwas hinterher, dann wandte er sich an Mademoiselle Morin und suchte ihr die ihm widerfahrene Kränkung zu schildern. Doch da die alte Französin mit ihrer Strickarbeit ruhig fortfuhr – sie hatte einen halbfertigen Wollstrumpf in den Händen, was hätte sie anderes tun können? –, nahm er mit einem tiefen Seufzer die Zeitung
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