Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
wurde mir klar, dass sie durch den Flur schaute, in den Vorgarten hinaus.
»Du hast Besuch«, sagte sie.
21
Tee Bobby Hulin hatte seinen Spritschlucker bei der Bootsrampe geparkt und war ins Zwielicht unter den Bäumen hochgekommen. Rosebud, seine autistische Schwester, saß auf dem Beifahrersitz, hatte den Sicherheitsgurt um die Brust geschlungen und starrte auf eine leere Pirogge, die ziellos auf dem Bayou trieb. Es war ein warmer Abend, an dem die Lichterketten über meinem Bootsanleger in der feuchten Luft schillerten, aber Tee Bobby trug ein langärmliges schwarzes Hemd mit zugeknöpften Manschetten. Seine Achselhöhlen waren feucht vor Schweiß, die Lippen trocken und rissig.
»Ich hab grad ’ne CD aufgenommen. ›Jolie Blon’s Bounce‹ is drauf. Anscheinend findet’s sonst keiner so besonders. Na ja, mal sehn, was Sie davon halten«, sagte er.
»Besten Dank, Tee Bobby. Ist Ihnen in dem Hemd nicht ein bisschen warm?«, sagte ich.
»Sie wissen doch, wie es is«, erwiderte er.
»Ich kann Sie in einer Therapie unterbringen.«
Er schüttelte den Kopf und trat zaghaft gegen eine Baumwurzel.
»Geht’s Ihrer Schwester gut?«, fragte ich.
»Gar nix is gut.«
»Wir wollten gerade zu Abend essen. Vielleicht können wir uns später unterhalten«, sagte ich.
»Ich wollte bloß kurz vorbeischaun, das is alles.«
Wir standen auf dem weichen, mit schimmligen Pekanschalen und schwarzem Laub bedeckten Boden im Dunkel der Bäume, die feucht und harzig rochen, wie Wasser, das zu lange in einer Holzzisterne steht. Golden leuchteten die Wipfel der Zypressen im Sumpf im Schein der untergehenden Sonne, und schneeweiße Reiher stiegen in den hellen Himmel auf und segelten mit ausgebreiteten Schwingen im Wind.
»Warum sind Sie hergekommen?«, fragte ich.
»Sie ham Jimmy Dean Styles echt schlimm zugerichtet. Sie ham ihn vor allen Leuten blamiert. Jimmy Sty lässt so was niemals auf sich sitzen.«
»Jimmy Sty können Sie vergessen. Sagen Sie mir lieber die Wahrheit, was Amanda Boudreau angeht.«
»Der Lügendetektor sagt, dass ich’s nicht gewesen bin. Das is das Einzige, was zählt. Ich hab niemand vergewaltigt oder erschossen. Das kann ich nachweisen.«
»Sie waren dort.«
Er schaute mich an, als wollte er mich in Grund und Boden starren, dann stieg ihm das Wasser in die Augen, und er wandte den Blick ab.
»Ich wünschte, ich wär nicht hergekommen. Der Lügendetektor sagt, dass ich unschuldig bin. Aber keiner will’s wahrhaben«, sagte er.
»Dieses Mädchen wird Sie in Ihren Träumen heimsuchen. Sie wird an Ihrem Sterbebett stehen. Sie werden niemals Frieden finden, solange Sie in der Sache nicht ehrlich sind, Tee Bobby.«
»O Gott, warum tun Sie mir das an?«, sagte er und ging mit raschen Schritten die Böschung hinab, geriet ein paarmal leicht ins Straucheln.
An diesem Abend hörte ich mir unten im Köderladen die CD an. Seine Aufnahme von »Jolie Blon’s Bounce«, dem Stück, das er geschrieben hatte, war Cajun-Music vom Feinsten, der beste Rhythm & Blues, den ich je gehört hatte. Aber ich hatte das Gefühl, dass die breite Öffentlichkeit nie erfahren würde, was Tee Bobby Hulin auf dem Kasten hatte, wie viel Sehnsucht und Qual er mit seiner Musik auszudrücken vermochte.
Am nächsten Morgen erlöste mich der Sheriff vom Dienst am Schreibtisch und schickte mich mit Helen Soileau nach New Orleans, um einen Häftling abzuholen. Es ging auf Mittag zu, als wir den Mississippi überquerten und in die Innenstadt fuhren. Während sie essen ging, begab ich mich wieder auf die andere Seite des Flusses, nach Algiers, und kam gerade noch rechtzeitig zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker, das hinten in einem Lagerhaus stattfand, dessen Fenster mit Farbe übermalt waren und das an einer schmalen Gasse unmittelbar neben einer Bar stand.
Aber das hier war nicht die übliche AA-Gemeinde.
Hier hatten sich all die gescheiterten Existenzen, die Verirrten, die doppelt Süchtigen und die völlig Weggetretenen, für deren Neurosen es nicht einmal einen Namen gab, zu einem Treffen zusammengefunden, bei dem es hart zur Sache ging, nach dem Motto »Kapieren oder krepieren, du Arschgeige«. Stripperinnen aus dem French Quarter nahmen daran teil, durchgeknallte Stadtstreicher, Zwanzig-Dollar-Nutten, christliche Fundamentalisten aus dem tiefsten Hinterland, wiedergeborene Biker in Lederklamotten, Frauen, die inmitten des Zigarettenqualms ihre Kinder stillten, zwei Cops, die in einer Bundeshaftanstalt gesessen hatten,
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