Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
vor dir siehst«, erwiderte ich.
Er ging hinter den Ladentisch und sammelte alles ein, was seiner Ansicht nach zu einem gesunden Frühstück gehörte – vier Donuts mit Marmelade, einen Liter Milch, ein Sandwich mit Schweinebraten, das er in der Eisbox gefunden hatte, und zwei Boudinstücke. Er warf einen Blick auf seine Uhr, setzte sich dann auf einen Barhocker und fing an zu essen.
»Ich geh heute Morgen mit Barbara drei Meilen joggen«, sagte er.
»Drei Meilen? Vielleicht solltest du noch ein Sandwich drauflegen.«
»Was soll das heißen?«
»Gar nichts«, erwiderte ich mit ausdrucksloser Miene.
»Ich habe noch ein paar Erkundigungen über unseren Playboyanwalt eingeholt, diesen LaSalle. Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich mir den Typ mal genauer vornehmen.«
»Meinst du?«
»Big Tit Judy Lavelle sagt, er hat allein im Quarter ein halbes Dutzend feste Mädels, mit denen er regelmäßig bumst. Sie sagt, dem sein Schwengel hat nicht nur Augen, der hat den Röntgenblick. Sobald eine Frau vorbeigeht, springt er ihm aus dem Stall.«
»Na und?«, sagte ich.
»Er ist also nicht ganz sauber. Auch Sexstrolche können einen Collegeabschluss haben. Er benutzt andere Menschen und schmeißt sie dann einfach weg. Er hat sich sowohl an Barbara als auch an Zerelda rangemacht und sie hinterher behandelt wie ranzige Sahne. Die ganze Familie hat ihr Geld damit verdient, dass andere Leute den Buckel für sie krumm gemacht haben. Siehst du da nicht auch gewisse Parallelen?«
»Willst du damit sagen, dass du ihn nicht leiden kannst?«
»Rede mit Big Tit Judy. Sie hat den Ausdruck ›unentwegt geil‹ gebraucht. Ich frage mich, was sie damit gemeint hat.«
»Ich muss zur Arbeit. Wie läuft’s mit dir und Barbara?«
Er knüllte eine Papierserviette zusammen und ließ sie auf seinen Teller fallen. Er wollte etwas sagen, zuckte dann die Achseln und verzog missmutig das Gesicht.
»Lass ich mir zu sehr anmerken, was mit mir los ist?«, sagte er.
»Das würde ich nicht sagen.«
»Du bist ein lausiger Lügner.«
Ich begleitete ihn zu seinem Auto, schaute ihm dann hinterher, als er davonfuhr, eine Smiley-Lewis-Kassette einlegte und die Anlage aufdrehte, fest entschlossen, sich weder vom Wissen um die eigene Sterblichkeit noch von seiner Seelennot unterkriegen zu lassen.
Ich ging ins Büro, konnte mich aber nicht recht von den Gedanken losreißen, die Clete mir in den Kopf gesetzt hatte. Seine Ansichten und sein Verhalten waren unberechenbar bis exzentrisch, seine Hemmungslosigkeit und Lebenslust geradezu legendär und ebenso gewaltig wie das Chaos, das er in regelmäßigen Abständen immer wieder anrichtete, aber trotz alledem war er der intelligenteste und scharfsinnigste Polizist, den ich je kennen gelernt hatte. Er begriff nicht nur die Kriminellen, sondern durchschaute auch die Gesellschaft, die sie hervorbrachte.
Als er Streifenpolizist im Garden District war, schnappte er einen für seinen Jähzorn berüchtigten Kongressabgeordneten der Vereinigten Staaten wegen Trunkenheit am Steuer und Unfallflucht und ließ sein Auto abschleppen. Als der Kongressabgeordnete und seine Freundin zu einer Bar an der Ecke St. Charles und Napoleon Avenue gehen wollten, kettete Clete ihn mit Handschellen an einen Hydranten.
Die Anklage gegen den Kongressabgeordneten wurde fallen gelassen, und eine Woche später wurde Clete dem so genannten Kontaktbereichsdienst zugeteilt. Das ganze nächste Jahr über durfte er fortwährend Kugeln, Ziegelsteinen oder Mülltonnen ausweichen, die mit Wasser gefüllt und von den Dächern der Sozialsiedlungen Desire, Iberville und St. Thomas auf ihn geworfen wurden.
Auch wenn er ständig abfällige Bemerkungen über all die kleinen Ganoven und Blindgänger machte, die täglich ihre Runden durch die Kautionskanzleien, Gerichtssäle und Gefängnisse einer jeden amerikanischen Stadt drehten, war er in Wirklichkeit der Ansicht, dass sie eher gestört als böse waren, und er behandelte sie mit einer gewissen spöttischen Hochachtung.
Bei Drogendealern, Zuhältern, Sexgangstern, Straßenräubern und Gewaltverbrechern sah die Sache anders aus. Desgleichen bei Miethaien, bestechlichen Politikern und Polizisten, die in Diensten des Mob standen. Aber im Grunde genommen verachtete Clete eher die innere Einstellung, die dahinter steckte, als die Person. Öffentlich zur Schau gestellte Wohltätigkeit und Tugendhaftigkeit betrachtete er als billiges Theater. Er traute niemandem, der irgendeiner Vereinigung
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