Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
anderen Ende der Straße, obwohl es dort nichts Besonderes zu sehen gab.
»Heut versengt’s einen schier, nicht wahr?«, sagte er.
»Sie sind doch bestimmt in ein paar anderen Bezirken im Süden herumgekommen. Sind Sie dabei einem Mann namens Legion über den Weg gelaufen? Kein Vorname, kein Zuname, bloß Legion«, sagte ich.
Nachdenklich zog er die Augenbrauen hoch. »Ein alter Mann? Hat eine Zeit lang in Angola gearbeitet? Die Schwarzen gehn ihm aus dem Weg. Er wohnt hinter einer alten Zuckerrohrmühle unten bei Baldwin. Wissen Sie, weshalb ich mir den Namen gemerkt hab?«, sagte er. Beim letzten Satz leuchtete sein Gesicht auf.
»Nein, weshalb?«, sagte ich.
»Weil Jesus mal einem Mann begegnet is, der von einem unsauberen Geist besessen war, und als er ihn heilen wollte, hat er erst den Dämon gefragt, wie er heißt. Der Dämon hat gesagt, er heißt Legion. Jesus hat den Dämon in eine Herde Säue fahren lassen, worauf sich die Säue ins Meer gestürzt haben und ersoffen sind.«
»Danke für die Hilfe, Marvin. Haben Sie der Frau in dem letzten Haus, in dem Sie gewesen sind, eine Bibel verkauft?«
»Eigentlich nicht.«
»Ich kann mir vorstellen, dass das eine schwierige Kundin war. Sie schafft in einem Schuppen an der Hopkins Street an.«
Vorsichtig blickte er die Straße auf und ab, wandte sich dann mit warnender Miene an mich, als wollte er mir etwas anvertrauen, unter uns Weißen, von Mann zu Mann. »Die Mormonen glauben, dass die Schwarzen vom verschollenen Stamm des Harn abstammen. Meinen Sie, das stimmt?«
»Bin ich überfragt. Soll ich Sie ein Stück mitnehmen?«
»Wenn man das Feld des Herrn bestellt, sollte man es begehen, nicht bloß drüber reden.«
Fröhlich wie ein kleiner Junge, der sich selbst nicht ganz ernst nimmt, strahlte er mich an. Trotzdem wirkte er Mitleid erregend mit seinem nass geschwitzten Hemd, auf dem sich vorne dunkle Streifen abzeichneten, wie die Striemen auf der Haut eines Gegeißelten, mit all seiner Mühsal und Demut, für die er sich entschieden hatte. Wenn sich sein Lächeln in Worte umsetzen ließe, liefe es vermutlich auf das alte Sprichwort hinaus, wonach Güte ihren Lohn in sich trägt.
Ich winkte ihm mit hoch gerecktem Daumen zu und nahm mir vor, bei erstbester Gelegenheit seinen Namen in den Computer einzugeben und mich beim National Crime Information Center in Washington, D. C, wo sämtliche Straftaten im ganzen Land erfasst wurden, nach ihm zu erkundigen.
7
Am nächsten Abend kam draußen auf dem Fahrweg ein klappriger Pickup angerumpelt, der wie ein waidwundes Tier klang, als Batists Schwester beim Köderladen hielt und den Motor abstellte.
Schwerfällig setzte sie sich an den Tresen, fischte ein Kleenex aus ihrer Handtasche, schnäuzte sich und starrte mich dann an, als erwartete sie von mir, dass ich ihr erklärte, welches Anliegen sie in meinen Köderladen geführt hatte.
»Keiner hat je erfahren, was wirklich auf Julian LaSalles Plantage vorgefallen is«, sagte sie.
Ich nickte, schwieg aber weiter.
»Seit der Zeit, als ich noch ein kleines Mädchen war, träum ich schlecht von Legion. So lang hab ich schon Angst vor ihm«, sagte sie.
»Viele von uns tragen schlechte Erinnerungen aus ihrer Kindheit mit sich herum. Wir sollten uns dafür nicht schämen, Clemmie«, sagte ich.
»Ich hab mir immer gesagt, dass Gott Legion bestraft. Ihn in die Hölle schickt, wo er hingehört.«
»Vielleicht passiert das noch.«
»Das reicht nicht«, sagte sie.
Dann berichtete sie mir von den Ereignissen, die sich nach dem Feuertod von Julian LaSalles Frau zugetragen hatten.
Ladice arbeitete wieder auf den Feldern, wurde von Legion aber nicht belästigt. Genau genommen behelligte er die schwarzen Mädchen oder Frauen gar nicht mehr, sondern schien mit anderen Sachen beschäftigt zu sein. Die Händler und Handwerker, ob Elektriker, Klempner oder Bauarbeiter, fuhren hinaus und hielten sich an ihn statt an Julian LaSalle, wenn sie Waren lieferten oder Reparaturen ausführen sollten. Manchmal band Legion sein Pferd im Schatten an, ging mit den Händlern und Handwerkern weg und kehrte stundenlang nicht zurück, als ob er andere Pflichten hätte, die weitaus wichtiger und dringender waren als der Dienst auf den Feldern.
Mr. Julian wohnte in der Gästehütte an der Süßwasserbucht und ließ sich nur selten sehen, kam allenfalls abends gelegentlich heraus, stand dann unrasiert und im Bademantel im Zwielicht unter den Bäumen am Ufer und starrte auf die Holzbrücke,
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