Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Aber helfen tu ich euch nicht, bloß damit ihr mir was zuleide tun könnt. Und ich will auch nicht, dass ihr mich behandelt, als ob ich blöd war.«
»Tut mir Leid, dass wir Sie aufgeweckt haben, Partner«, sagte ich.
Helen ließ den Motor an und schaltete die Scheibenwischer ein, als wir wieder draußen im Streifenwagen saßen. Der Regen schoss in Sturzbächen von Marvins Dach, und der Wind peitschte die Bananenstauden an das Verandageländer. Im Haus war jetzt alles dunkel.
»Hast du schon mal jemand erlebt, der in einem nassen Bett schläft?«, sagte Helen.
»Marvin ist ein bisschen absonderlich«, erwiderte ich.
Helen schaltete die Innenbeleuchtung ein und musterte mich. Ich wandte mich unwillkürlich von ihr ab.
»Bist du denn gar nicht müde?«, sagte sie.
»Nein, mir geht’s bestens.«
»Ich habe gesehen, dass du heute Abend zweimal zum Aspirinfläschchen gegriffen hast. Aber meiner Meinung nach ist da kein Aspirin drin. Pfeifst du dir etwa dutzendweise Muntermacher ein, Dave?«, sagte sie.
Als der Mann, der sich Legion nannte, noch viel jünger war, hing er immer in Hattie Fontenots Bar unten an der Railroad Avenue herum, einem Holzbau mit Blechdach, der unter der Musik aus der Jukebox, dem Rattern der vorbeifahrenden Züge und den irren Schreien der betrunkenen Huren erbebte. Polizisten hingen dort ebenfalls herum, weil es Kaffee, Boudin und geröstete Schweineschwarten umsonst gab – manchmal auch die Huren – und an dem großen, mit Filz bespannten runden Tisch im Hinterzimmer rund um die Uhr Bouree gespielt wurde.
Die farbigen Schuhputzer kamen mit ihren hölzernen Kästen herein, knieten sich in die Kautabakspucke und das Sägemehl und putzten und polierten Schuhe und Stiefel für zehn Cent. Die weißen Frauen in den Hütten kosteten fünf Dollar, die schwarzen drei. Eine Flasche Jax oder Regal gab es für zwanzig Cent, ein Glas Whiskey für einen Vierteldollar. Die Austern, die ein Neger aufbrach und roh, kalt und salzig, wie sie waren, in einer Spur aus geschmolzenem Eis den Tresen entlangschlittern ließ, kosteten fünf Cent das Stück, die Zitronenscheiben dazu waren umsonst. Alle Freuden dieser Welt standen jedem Weißen zur Verfügung, der sie begehrte.
Dann änderten sich die Zeiten so rasch und ohne jeden ersichtlichen Grund oder eine Erklärung, dass der Mann, den die Neger nur unter dem Namen Legion kannten, annahm, irgendwelche Mächte hoch oben im Norden, wo er nie gewesen war, steckten hinter den Ereignissen, die das Louisiana, in dem er aufgewachsen war, von Grund auf umkrempelten. Die Hütten wurden dichtgemacht und die meisten Prostituierten zogen weg. Die Staatspolizei transportierte die Einarmigen Banditen ab und versenkte sie dreißig Meter tief im Meer. In Hattie Fontenots Bar hingen keine Cops mehr herum, und die Rassenschranken bröckelten allmählich und brachen dann wie ein Damm. Schwarze Männer übernahmen die Jobs, die weiße Männer seit jeher als ihr persönliches Eigentum betrachtet hatten, und gingen mit weißen Frauen auf der Straße spazieren.
Aber der Mann, der sich Legion nannte, änderte sich nicht. Er trug seine gestärkten Khakihemden und -hosen, als wäre es eine Uniform, ließ die Uhrkette mit der Lima-Plakette aus seiner Uhrtasche hängen, knöpfte die langen Hemdsärmel stets zu und schob sich den Strohhut schräg übers Auge. Er rauchte filterlose Zigaretten, trank seinen Whiskey pur, scherte sich um keinerlei Vorhaltungen von wegen gesunder Ernährung oder Gefahren für Lunge und Leber, nahm sich ein schwarzes Mädchen und zwang es, mit ihm ins Bett zu gehen, wenn ihm danach zumute war. Und gelegentlich saß er am Freitagnachmittag an einem der hinteren Tische in Hatties alter Bar an der Railroad Avenue, hatte eine Mokkatasse mit französischem Kaffee samt Untertasse und einem kleinen Löffel neben dem Ellbogen stehen und legte auf dem grünen Filztuch eine Patience, als wäre alles noch genauso wie vor vierzig Jahren und das Gebäude würde nach wie vor unter der Musik, dem Rattern der Züge und den schrillen Schreien geistesgestörter Huren erbeben.
Er kratzte mit einem Federmesser den Dreck unter seinen Fingernägeln hervor, streifte die Klinge über dem Tisch ab und betrachtete einen vorlauten Schwarzen an der Bar, der sich einen Schnaps nach dem anderen hinter die Binde kippte, mit dem weißen Barmädchen schäkerte und den Leuten draußen auf der vorderen Veranda irgendetwas zubrüllte. Der Schwarze hatte kurz geschorene Haare, glänzende
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