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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Puffmutter stellte mir einen Teller mit gerösteten Mandeln hin und versprach mir ihr bestes Mädchen, wenn ich endlich meine Volljährigkeit feierte.
    »Du bist mir doch nicht böse, Kleiner?«
    »Natürlich nicht, Madame.«
    »Oh, wie niedlich er ist … Aber hör auf, mich Madame zu nennen, das kann ich nicht verknusen.«
    Die Chefin hatte sich beruhigt und schlug versöhnliche Töne an. Ich fürchtete schon, sie würde mir am Ende noch freie Auswahl aus dem Fleischberg auf der Bank anbieten, um mir einen Gefallen zu tun.
    »Du bist mir ganz sicher nicht böse?«
    »Aber natürlich nicht!«, rief ich, in Panik beim Gedanken, sie könne mein Alter außer Acht lassen und mir eines der Mäd chenzuweisen. »Offen gestanden«, fügte ich rasch hinzu, um jeder Eventualität vorzubeugen, »wollte ich gar nicht mitkommen. Ich bin noch nicht bereit.«
    »Da hast du recht, Kleiner. Man ist nie bereit, wenn es darum geht, es mit einer Frau aufzunehmen … Hinter dir steht Limonade, falls du Durst hast. Geht auf’s Haus.«
    Sie überließ mich meinem Schicksal und ging hinaus in den Gang, um nach dem Rechten zu sehen.
    Und da erblickte ich sie . Sie hatte gerade einen Kunden abgefertigt und sich wieder zu ihren Gefährtinnen auf die Bank gesetzt. Bei ihrer Rückkehr auf die Bühne wogte es im Saal. Ein hünenhafter Soldat erinnerte die anderen daran, dass er lange vor ihnen da gewesen war, und empörtes Murren brandete auf. Ich achtete nicht auf die Unruhe, die sich der Freier bemächtigte. Schlagartig verstummte die Geräuschkulisse, und alles im großen Saal verblasste. Ich sah nur noch sie . Als wäre ein Scheinwerfer auf sie gerichtet, während ringsum alles im Dunkel versank. Ich hatte sie gleich wiedererkannt, obwohl ich sie niemals an einem solchen Ort vermutet hätte. Sie war noch immer faltenlos, hatte eine Stola um ihren mädchenhaften Körper geschlungen, dazu der tiefe Ausschnitt, die pechschwarze Haarpracht, die ihr über die Brust fiel, und die beiden winzigen Wangengrübchen: Hadda …! Die schöne Hadda! Meine heimliche Liebe, mein erster Schwarm … Wie war sie nur in einer so hässlichen Kloake gelandet, sie, deren Gegenwart den Patio hatte in sonnenhellem Licht erstrahlen lassen?
    Ich war bestürzt, schockiert, starr vor Fassungslosigkeit …
    Ihr unvermutetes Erscheinen katapultierte mich um Jahre zurück. Zurück in den Innenhof unserer Behausung in Djenane Djato, zwischen all die schallend lachenden Nachbarinnen und ihre lärmenden Gören … Hadda lachte an jenem Morgen nicht … Sie war traurig … Ich sah sie vor mir, wie sie den Arm über den niedrigen Tisch ausstreckte, mit der Handfläche nach oben: »Sag mir, was du siehst, liebe Nachbarin. Ich muss es wissen. Ich kann nicht mehr …« Und Batoul, die Se herin:»Ich sehe viele Männer rings um dich, Hadda. Aber sehr wenig Freude … Es wirkt wie ein Traum, und doch ist es keiner …«
    Batoul hatte sich nicht geirrt. Es waren viel zu viele Männer um die schöne Hadda versammelt und wenig Freude erkennbar. Ihr neuer Patio erinnerte mit den Glitterpailletten, dem schummrigen Licht, dem Phantasiedekor und den Saufgelagen an einen Traum, aber es war kein Traum … Ich merkte, dass ich aufgesprungen war und mit hängenden Armen und offenem Mund hinter dem Tresen stand, außerstande, diese schreckliche Sache beim Namen zu nennen, die mir die Sinne benebelte, und dabei wäre ich am liebsten aus der Haut gefahren.
    Im Saal packte derweil ein langer Kerl mit kahlrasiertem Schädel zwei Männer am Nacken und stieß sie gegen die Wand. Im Nu war Ruhe eingekehrt. Mit bebenden Nasenflügeln ließ er seinen Blick kampflustig über die versammelte Mannschaft gleiten. Als er sah, dass keiner der Freier gegen die Unbotmäßigkeit seiner Methode protestierte, ließ er von den beiden armen Teufeln ab und marschierte auf Hadda zu. Er nahm sie brutal am Ellenbogen und trieb sie vor sich her. Das Schweigen, das den beiden durch den Korridor folgte, war so dick, dass man es mit dem Messer hätte schneiden können.
    Ich sah zu, dass ich wieder auf die Straße kam, wo die Luft weniger verseucht war, um erst einmal tief durchzuatmen.
    André, Jean-Christophe und Joe fanden mich völlig niedergeschlagen auf einer Treppenstufe. Sie dachten, es sei wegen der Weigerung der Puffmutter, und hielten es nicht für nötig, das anzusprechen. Jean-Christophe war dunkelrot vor Verlegenheit. Offenbar war es nicht gut gelaufen. André hatte nur Augen für seinen Yankee und schien

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