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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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hat ein Problem«, verkündete uns André.
    »Ist er desertiert?«, fragte Fabrice.
    »Joe ist doch kein Angsthase. Nein, Hauen und Stechen ist seinHobby, nur hat er schon seit sechs Monaten keinen Saft mehr abgelassen und seine Hoden sind so samenprall, dass er kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen kann.«
    »Wieso das denn?«, fragte Simon. »Bekommen sie beim Regiment keine Seife mehr?«
    »Darum geht es nicht«, entgegnete André und tätschelte dem Korporal freundschaftlich das Handgelenk. »Joe hat mal wieder Lust auf ein echtes Bett, mit blutroten Lampenschirmen rechts und links und einer richtigen Frau zum Anfassen, an der was dran ist, und die ihm schweinisches Zeugs ins Ohr flüstert.«
    Wir schütteten uns vor Lachen aus, und Joe tat dasselbe, heftig nickend. Sein Lächeln zerschnitt sein Gesicht in zwei Hälften.
    »Darum hab ich beschlossen, ihn in den Puff zu bringen«, erklärte André und breitete die Arme zum Zeichen seiner grenzenlosen Großzügigkeit aus.
    »Da lassen die dich doch gar nicht rein«, gab Jean-Christophe zu bedenken.
    »Wer wollte es wagen, André Jiménez Sosa daran zu hindern, sich zu begeben, wohin er will? Im Camélia würden sie mir sogar noch den roten Teppich auslegen. Die Inhaberin ist eine Freundin. Ich habe sie so geschmiert, dass sie wie Butter dahinschmilzt, sobald sie mich sieht. Dort werde ich meinen Freund Joe hinbringen, und wir werden in Goldpussys schwelgen bis zum Abwinken, stimmt’s, Joe?«
    »Yeah! Yeah!«, machte Joe und knetete die Mütze in seinen dicklichen Händen.
    »Ich würde ja gerne mit euch kommen«, preschte Jean-Christophe vor. »Ich habe noch nie so richtig eine Frau angefasst. Meinst du, das ließe sich arrangieren?«
    »Bist du meschugge?«, staunte Simon. »Du willst doch wohl nicht im Ernst in diese Pissoirs gehen und dir was einfangen? Diese Huren sind doch alle krank.«
    »Ich finde, Simon hat recht«, bemerkte Fabrice. »Das ist kein Ortfür uns. Und außerdem haben wir meiner Mutter versprochen, uns anständig zu benehmen.«
    Jean-Christophe zuckte die Achseln. Er beugte sich zu André hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. André setzte eine überlegene Miene auf und erwiderte:
    »Wenn’s dir Spaß macht, verschaff ich dir sogar Eintritt in die Hölle.«
    Erleichtert und freudig erregt drehte Jean-Christophe sich zu mir um:
    »Würdest du uns begleiten, Jonas?«
    »Na, und ob!«
    Ich staunte als Erster über meine spontane Zusage.
    Das »Reservierte Viertel« von Oran lag unmittelbar hinter dem Theater in der Rue de l’Aqueduc, einem verrufenen Gässchen, das nur über zwei nach Urin stinkende, von Betrunkenen umlagerte Treppen zu erreichen war … Kaum waren wir in der »Höhle des Löwen«, fühlte ich mich elend und musste sehr an mich halten, um nicht auf der Stelle kehrtzumachen. Joe und André schritten flott aus, sie hatten es eilig. Jean-Christophe lief hinter ihnen her, er war eingeschüchtert, und seine Ungezwungenheit wirkte ziemlich aufgesetzt. Ab und zu drehte er sich um und zwinkerte mir nassforsch zu, und ich lächelte verkrampft zurück, aber sobald eine zwielichtige Gestalt auftauchte, sprangen wir zur Seite, bereit, die Beine in die Hand zu nehmen. Die Bordelle drängten sich hinter grellgetünchten Portalen auf derselben Straßenseite aneinander. Die Rue de l’Aqueduc wimmelte nur so von Menschen. Soldaten und Matrosen, verstohlen vorüberhuschende Araber, die befürchteten, von Nachbarn oder Angehörigen erkannt zu werden, barfüßige Botenjungen mit schniefender Nase, Amerikaner, Senegalesen und Zuhälter, die mit Netzaugen über ihre Herde wachten, ihr Schnappmesser unterm Gürtel versteckt, »eingeborene« Gefreite mit hoher roter Scheschia. Alles in allem eine fieberhafte und doch seltsam gedämpfte Betriebsamkeit.
    DieInhaberin des Camélia war eine opulente Dame mit durchdringender Stimme. Sie führte ihr Etablissement mit eiserner Hand und behandelte die Freier mit derselben unnachsichtigen Strenge wie ihre Mädchen. Bei unserer Ankunft stauchte sie gerade einen rücksichtslosen Kunden am Eingang zusammen.
    »Du hast schon wieder Scheiße gebaut, Gégé! Gar nicht gut für dich! Du hast doch sicher vor, wiederzukommen und mit meinen Mädchen zu schlafen …? Hängt von dir ab, Gégé, ob’s klappt, das schreib dir hinter die Ohren! Benimm dich nur weiter wie ein Rohling, und du setzt keinen Fuß mehr über meine Schwelle! Du kennst mich, Gégé! Wenn für mich jemand gestorben ist, dann kann er sich

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