Die Schuld des Tages an die Nacht
mitzuteilen und brauchte unseren Rat. Er bat uns in die Werkstatt seines Vaters, ein Kabuff im Erdgeschoss des alten Familienhauses, und nachdem er uns schweigend unseren Fruchtsaft hatte trinken und unsere Kartoffelchips hatte knabbern lassen, erklärte er:
»Also… ich habe mit Isabelle Schluss gemacht!«
Wir dachten, Simon würde vor Freude an die Decke springen, aber nichts.
»Glaubt ihr, ich habe eine Dummheit gemacht?«
Fabrice stützte das Kinn in die Hand und dachte nach.
»Was ist denn passiert?«, fragte ich zu meiner eigenen Überraschung, denn ich hatte mir fest vorgenommen, mich nicht mehr in ihre Geschichten einzumischen.
Jean-Christophe hatte nur auf einen Vorwand gewartet, um sein Herz auszuschütten. Er breitete die Arme zum Zeichen aus, dass er die Nase gestrichen voll hatte:
»Sie ist einfach zu kompliziert. Immer sucht sie das Haar in der Suppe, immerzu verbessert sie mich wegen dummer Kleinigkeiten, erinnert mich ständig daran, dass ich nur der Sohn armer Leute bin und allein durch sie in die höheren Sphären gelangt bin … Wie oft habe ich ihr schon angedroht, Schluss zu machen … ›Chiche!‹ , sagt sie dann nur. ›Bitte sehr, von mir aus!‹ Und heute Morgen war es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie hätte mich fast gelyncht. Mitten auf der Straße. Vor aller Augen … Nur weil ich dem Mädchen von neulich Abend nachgeschaut habe, als es aus einem Laden kam …«
Für einen Sekundenbruchteil ging ein Erdstoß durch den Raum; der Tisch, an dem wir saßen, wackelte. Ich sah den Adamsapfel in Fabrice’ Kehle hüpfen und Simons Fingerknöchel bleich werden.
»Was habt ihr denn?«, unterbrach Jean-Christophe die bleierne Stille, die sich ringsum ausgebreitet hatte.
Simon warf Fabrice einen verstohlenen Blick zu. Der hüstelte hinter vorgehaltener Faust und sah Jean-Christophe forschend an:
»Hat Isabelle dich mit diesem Mädchen überrascht?«
»Aber nein. Es war das erste Mal, dass ich sie seit jenem Abend wiedergesehen habe. Ich war mit Isabelle auf dem Weg zur Schneiderin, und das Mädchen kam aus dem Laden von Benhamou, dem Drogisten.«
Fabriceschien erleichtert.
Er entspannte sich und sagte:
»Weißt du, Chris, niemand von uns kann dir sagen, was du zu tun hast. Wir sind deine Freunde, aber wir wissen nicht, welcher Art eure Verbindung ist. Ständig trötest du, dass du sie in die Wüste schicken willst, und am nächsten Tag sieht man sie doch wieder an deinem Arm. Auf Dauer glaubt dir dann kein Mensch mehr. Außerdem ist das allein eure Sache. Das müsst ihr selber entscheiden. Ihr seid schon seit Jahren zusammen, seit dem Collège. Du weißt besser als jeder andere, wie es um euch steht und welche Entscheidung du zu treffen hast.«
»Eben, das ist es ja, wir kennen uns seit dem Collège, und ich weiß nicht – ehrlich –, ich weiß einfach nicht, was ich von dieser Beziehung überhaupt habe. Isabelle scheint von meiner Seele Besitz ergriffen zu haben. Und trotz ihres miesen Charakters und ihres Kommandotons sage ich mir manchmal, dass ich ohne sie nicht leben kann, auch wenn das seltsam klingt. Ich versichere euch, das ist die Wahrheit. Es kommt sogar vor, dass sie mir gerade wegen ihrer Fehler so lieb und teuer ist und ich sie deswegen anbete …«
»Vergiss diese dumme Kuh doch endlich!« Simon schaltete sich mit glühenden Augen ein. »Die ist nichts für dich. Am Ende wirst du sie ein Leben lang ertragen wie eine chronische Krankheit. So ein hübscher Kerl wie du kann vom Leben ein bisschen mehr erwarten … Und ehrlich gesagt, finde ich eure Herzensgeschichten langsam zum Kotzen.«
Sprach’s, stand auf – so wie Fabrice am Vormittag bei André – und zog laut schimpfend davon.
»Hab ich was Dummes gesagt?«, fragte Jean-Christophe verdutzt.
»Er ist in letzter Zeit nicht gut beieinander«, erklärte Fabrice.
»Was hat er denn eigentlich?«, wandte sich Jean-Christophe an mich. »Du bist doch die ganze Zeit mit ihm zusammen. Was ist mit ihm los?«
Ichzuckte die Achseln:
»Keine Ahnung.«
Simon war schlecht drauf. Sein Frust hatte seine gute Laune restlos besiegt. Die Komplexe, die er unter Tonnen von Narretei begrub, kamen wieder hoch. Das Offensichtliche, vor dem er die Augen verschloss, die Selbstironie, mit der er sich vor gewissen Verletzungen schützte, schließlich all diese Kleinigkeiten, die ihm insgeheim die Lebensfreude verdarben – der dicke Bauch, die kurzen Beine, die spärlichen Reize, die ihn kaum zu einem Objekt
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