Die Schuld des Tages an die Nacht
des Begehrens machten –, zeigten ihm ein Bild, das er verabscheute. Auch wenn sie in seinem Leben nur als Randerscheinung auftauchte, brachte ihn diese Brünette aus dem Gleichgewicht.
Eine Woche später liefen wir uns zufällig über den Weg. Er wollte zur Post, um Formulare abzuholen, und ließ zu, dass ich ihn begleitete. Die Nachwehen seines Verdrusses standen ihm noch ins Gesicht geschrieben; sein schwarzer Blick schien der ganzen Welt böse zu sein.
Wir durchquerten wortlos das halbe Dorf, zwei chinesischen Schatten gleich, die an den Wänden entlanghuschen. Nachdem er seine Dokumente abgeholt hatte, wusste Simon nichts Rechtes mit seinem Tag anzufangen. Er war ein wenig verloren. Als wir aus dem Postamt kamen, standen wir Nase an Nase vor Fabrice … Und sie stand daneben, ihre Hand auf seinem Arm.
Der Anblick, den die beiden uns boten, er in seinem Tweedanzug, sie in ihrem Plisseekleid mit dem weit schwingenden Rock, überzeugte uns. Im Bruchteil einer Sekunde war alle Verbitterung aus Simons Gesicht gewichen … Es war einfach nicht zu leugnen: Sie waren ein so schönes Paar!
Fabrice beeilte sich, uns vorzustellen:
»Das sind Simon und Jonas, von denen ich Ihnen erzählt habe. Meine besten Freunde.«
Im Tageslicht entpuppte sich das Mädchen als noch viel schöner.Sie war nicht aus Fleisch und Blut; sie war ein Tupfer Sonnenlicht.
»Simon, Jonas, darf ich euch Émilie vorstellen, die Tochter von Madame Cazenave.«
Eine kalte Dusche traf mich von Kopf bis Fuß.
Beide unfähig, auch nur eine Silbe zu äußern, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, begnügten Simon und ich uns mit einem Lächeln.
Als wir wieder zu uns kamen, waren sie schon fort.
Wir blieben eine Zeitlang sprachlos auf dem Gehweg vor der Post stehen. Wie sollte man es ihnen verübeln? Wie eine derart harmonische Verbindung antasten, ohne als gefühlloser Rohling dazustehen?
Simon hatte keine andere Wahl, als das Handtuch zu werfen – und er tat es mit Bravour.
13 .
DER FRÜHLING ZOG INS LAND . Die mit feinem Flaum überzogenen Hügel funkelten in der Morgenröte wie ein ganzes Meer Tautropfen. Man hatte Lust, sich die Kleider vom Leib zu reißen und sich kopfüber hineinzustürzen, bis zur Erschöpfung im frischen Grün zu schwimmen, sich dann unter einem Baum auszustrecken und von all den schönen Dingen zu träumen, die der liebe Gott sich hatte einfallen lassen. Es war wie ein Rausch. Jeder Morgen war ein Geniestreich, jeder der Zeit geraubte Moment ein Geschenk der Ewigkeit. Río unter der Sonne war die pure Wonne. Was immer man berührte, man rührte an einen Traum, nirgends war meine Seele dem Frieden so nah. Der Lärm der Welt drang gefiltert zu uns, ohne jeden Störlaut im heilsamen Rauschen und Rascheln unserer Reben. Wir wussten, die Lage im Land wurde immer hitziger, längst gärte die Wut an der Basis, im Volk; doch die Leute im Dorf achteten nicht darauf. Sie errichteten Trutzburgen um ihr Glück und ließen bewusst die Gucklöcher aus. Sie wollten nichts als ihr eigenes schönes Spiegelbild sehen, dem sie zuzwinkerten, bevor sie sich in die Weinfelder begaben, um Körbe voll Sonne zu ernten.
Es brannte ja auch nicht. Die Traube verhieß köstliche Festweine, temperamentvolle Bälle und üppig begossene Allianzen. Der Himmel war so makellos blau wie eh und je, und es kam nicht in Frage, dass man ihn sich durch schwarze Wolken, die andernorts aufzogen, verdüstern ließ. Nach dem Mittagessen begab ich mich auf den Balkon und vergaß mich eine gute halbe Stundeim Schaukelstuhl, um das geriffelte Grün der Ebene zu betrachten, das Ocker der sonnendurchglühten Erde, die farbenfrohen Trugbilder am Horizont – Landarbeiterinnen, die mit wiegender Hüfte ihrer Tätigkeit nachgingen. Ein zauberischer Anblick, durchdrungen von kosmischem Frieden; ich brauchte die Augen nur kurz umherschweifen zu lassen und war schon eingenickt. Wie oft traf Germaine mich mit offenem Mund an, den Kopf im Nacken; rasch zog sie sich dann auf Zehenspitzen zurück, um mich nicht zu wecken.
In Río Salado sahen wir zuversichtlich dem Sommer entgegen. Wir wussten, dass das Wetter mit uns im Bunde stand, dass Weinlese und Strandleben uns bald eine zweite Seele einhauchen würden, damit wir die zahllosen Feste und die homerischen Räusche, die wir uns antrinken würden, in vollen Zügen genießen könnten. Schon entsprossen dem süßen Farniente die ersten Liebeleien, so wie am frühen Morgen die Knospen aufblühen. Die jungen Mädchen,
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