Die Schuld einer Mutter
klingeln«, sagt er. »Sicher sind sie gerade mit den Helfern oder mit der Polizei beschäftigt.«
Also lasse ich es klingeln. Dreißig Mal. Und dann versuche ich es auf dem Handy. Aber auch darauf reagiert sie nicht.
Er hat jetzt lange genug zugeschaut, um zu wissen, was ihn erregt. Dazu muss er sie gar nicht lange beobachten. Das Gefühl stellt sich schlagartig ein.
Wie unterschiedlich sie doch sind; es ist, als gehörten sie nicht einmal derselben Spezies an. Vermutlich ist es ähnlich wie bei Hunderassen, denkt er. Alle so unterschiedlich. Große, Kleine, Dicke, Dünne, und dazu gibt es noch alle möglichen Fellfarben.
Lustig, dass man nicht weiß, was einen kickt, bevor man es zum ersten Mal probiert. Er hatte eine vage Vorstellung davon, aber erst, als er einen kleinen Vorgeschmack bekam, wurde ihm seine Präferenz bewusst. Und wer weiß? Vielleicht wird sich auch das noch einmal verändern. Vielleicht sollte er es einmal mit einem dieser feingliedrigen, blassen Mädchen versuchen. Vielleicht beschert ihm das ein ganz anderes Gefühl, sich an die weiche weiße Gänsehaut ihrer Schenkel zu drücken. Vielleicht ist sie so kühl, wie sie aussieht.
Aber das ist für später. Fürs Erste hat er sich festgelegt, und er muss sich eingestehen, es war so unglaublich einfach. Es ist, als hätte sie auf ihn gewartet. Als wollte sie sich mit ihm unterhalten, ihn kennenlernen. Am Anfang wirkte sie ein bisschen schüchtern, was ihm sehr gefiel. Für vorlaute Mädchen hat er nie viel übrig gehabt; er findet ihre direkte Art abstoßend, ihre vulgäre Ausdrucksweise. In ihrer Nähe bekam er schon als Kind ein hässliches, übles Gefühl und wollte weglaufen, nach Hause, und sich direkt unter die Dusche stellen.
Bei der Arbeit begegnen ihm viele dieser Frauen. Aushilfen aus Südengland, die tatsächlich glauben, sie könnten bei ihm landen, wenn sie einen auf Kerry Katona machen und zotige Sprüche klopfen. Es widert ihn an. Sie stehen schwatzend in den Fluren herum und lehnen sich an die Heizkörper, während er ihre Arbeit begutachtet. »Ich lasse mir nur den Arsch wärmen!«, lachen sie, und er schaut peinlich berührt zu Boden.
Besonders eine baggert ihn seit einer Woche an. Chelseigh aus Crewe. Ja, so heißt sie tatsächlich. Ständig sucht sie seine Nähe, steht herum und kaut an ihren Fingernägeln, wenn er versucht, in Ruhe etwas zu lesen; aber ihre entzündeten Nagelbetten lenken ihn ab, ihre geschwollenen Fingerkuppen, an denen sie herumzupft, bis es blutet, und am liebsten würde er mit der Faust zuschlagen. Aber das tut er nicht, denn erstens müsste er sie dazu berühren (das Letzte, was er will), und zweitens ist es unter seiner Würde, den Angestellten gegenüber die Fassung zu verlieren. Einmal hat sie ihn gebeten, sich eine feuchte Stelle in ihrem Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft anzusehen, und als er dort war, hatte sie sich auf das Bett gesetzt, ihm Löcher in den Bauch gefragt und war sich beim Sprechen mit der Zunge über die Lippen gefahren. Als hätte sie gedacht, er würde an Ort und Stelle über sie herfallen. Und je mehr er sie ignorierte, desto anzüglicher, vulgärer und schamloser wurde ihr Verhalten.
Chelseigh sagte, er gefiele ihr, weil er so schüchtern sei. Beim Wort »schüchtern « öffnete sie den Mund und schob die Unterlippe vor, was wohl niedlich aussehen sollte. Er musste an all diese idiotischen Promis denken, die denselben lächerlichen Schmollmund ziehen, wann immer sie fotografiert werden. Wozu soll das gut sein? Soll es zeigen, dass sie allzeit bereit sind, dir den Schwanz zu lutschen? Erbärmlich.
Chelseigh verwechselt Schüchternheit mit Abscheu. Denn wenn er ist, wo er sein will und mit wem er will, dann ist er kein bisschen schüchtern. Dann ist er äußerst charmant.
Er braucht nichts weiter zu tun, als das Seitenfenster herunterzulassen und ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und dann …
15
I ch bringe die Kinder ins Bett. Die Jungs teilen sich ein Zimmer, und der Weg hindurch ist ein Hindernisparcours. Auf dem Boden liegen Fernbedienungen für die Wii, Legosteine, aus der Hülle gerissene Simpsons-DVDs und leere Chipstüten. Am Fußende von James’ Bett liegt ein nasses Handtuch. »Gute Nacht, mein Schatz«, sage ich zu ihm. Küssen darf ich ihn nicht.
»Nacht, Mum.«
Ich beuge mich hinunter und ziehe Sams Decke im unteren Bett zurecht. Er liegt auf dem Rücken ausgestreckt, kneift die Augen zu und grinst, sodass ich sein Zahnfleisch sehen kann. Er hat
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