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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Daly
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am helllichten Tag und gegen ihren Willen zu verschleppen. Aber ich glaube, so läuft das ohnehin nicht. Ich glaube, wenn ein Mann Lucinda im Auto mitnehmen wollte, wäre er diskreter vorgegangen.«
    »Wie denn?«
    »Nun ja, normalerweise wenden Entführer irgendwelche Tricks an.«
    »Aber Lucinda ist nicht dumm. Sie würde niemals zu einem Fremden ins Auto steigen, nur weil er behauptet, ihre Mutter zu kennen oder so.«
    Ich weiß, was sie meint. Schließlich habe ich sie und ihre Geschwister, als sie kleiner waren, ständig vor Fremden gewarnt. Mir fällt ein, dass ich mit Sam länger nicht darüber gesprochen habe. Die Jungs sind ja so einfältig. Sie hören mir kaum zu. Ich muss ihnen alles tausendmal sagen.
    Wenn ich sage: »Selbst wenn einer behauptet, er würde deine Mummy kennen, gehst du nicht mit ihm mit, okay? Selbst wenn er sagt: ›Ich kenne deine Mum, sie heißt Lisa, und ich soll dich heute von der Schule abholen‹, gehst du nie, niemals mit ihm mit. Du rennst zu einem Lehrer, abgemacht?«
    Und dann sieht er mich aufmerksam an, und ich denke: Ja, er hat’s kapiert. Ich glaube, er hat es wirklich verstanden.
    Aber dann ändert sich sein Gesichtsausdruck, da ist dieses Glitzern in seinen Augen, und er sagt: »Ist schon okay, Mummy, denn falls ich wirklich ins Auto steigen würde, würde ich ihn verprügeln! Und boxen! Und ihn in einen Autounfall verwickeln! Und dann würde ich weglaufen. Und er würde mich niemals fangen, denn ich bin wirklich richtig schnell, und …«
    Und dann sinkt mir das Herz. Weil mein Kind in einer Fantasiewelt lebt.
    Ich halte inne und drehe mich zu Sally um.
    »Sal, einen Teenager legt man anders rein als ein Kind. Die Täter sprechen ein Mädchen an und umschmeicheln es, sie …« Ich überlege, wie ich es so formuliere, dass sie mich versteht. »Ein Mann würde vorgeben, ein Mädchen unglaublich attraktiv zu finden, damit es denkt: ›Er ist in mich verliebt‹, und weil er älter ist, werden die Mädchen oft sehr unsicher und fallen drauf rein. Sie fallen auf alles rein, was man ihnen erzählt.«
    Ich sage ihr nicht, dass manche Entführer tatsächlich auf Teenager stehen, dass das nicht gespielt ist.
    Sally nickt. »Ich verstehe«, sagt sie leise.
    Ich lege ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich liebe dich, Sally«, sage ich, und ihre Lider flimmern.
    Sie schaut zur Seite, und ich merke, dass sie die Tränen wegblinzeln will. »Das ist schon okay«, sage ich. »Ist doch normal, dass du aufgebracht bist.«
    Sie wirkt so jung und so verletzlich, und es bricht mir fast das Herz, sie so zu sehen. Ihre Welt hat sich bis zur Unkenntlichkeit verändert, und …
    »Mum, genau das ist passiert«, ruft sie plötzlich. »Lucinda … dieser Mann, er hat sie nach der Schule auf der Straße angesprochen. Und, na ja, sie hat zugesagt, sich mit ihm zu treffen.«
    »Um was zu tun?«, frage ich verblüfft.
    »Keine Ahnung!«
    Ich setze mich, weil ich erst einmal nach Luft schnappen muss. »Warum hast du uns das nicht früher erzählt? Warum hast du ein Geheimnis draus gemacht? Du müsstest es besser wissen. Verdammt noch mal, Sally, hast du mir kein bisschen zugehört?«
    »Ja, aber …«
    »Aber was?«
    »Sie wollte nicht, dass irgendwer davon erfährt. Nicht einmal ihrer Mutter wollte sie …«
    »Du lieber Himmel, Sally, das ist doch jetzt unwichtig. Aus so was macht man doch kein Geheimnis. Das muss dir doch klar sein!«
    Sie weint jetzt. »Schrei mich nicht an«, schluchzt sie.
    Joe kommt herein. »Was ist denn hier los?«
    Ich drehe mich zu ihm um. »Bitte, sag jetzt gar nichts. Bleib einfach hier.« Er hält mitten in der Bewegung inne und bleibt wie angewurzelt stehen. In einer Hand hält er den großen Plastikeimer voller Kaminholz; er traut sich nicht einmal, ihn auf dem Küchenboden abzustellen.
    »Was ist passiert?«, fragt er ruhig.
    »Lucinda hat einen Mann kennengelernt, und Sally wusste davon.«
    »Hast du das der Polizei gesagt?«, fragt er.
    »Nein.« Sie schüttelt den Kopf.
    »Wie bitte?«, rufe ich. »Was ist los mit dir?«
    »Die haben nicht danach gefragt! Die haben nicht danach gefragt, und ich wollte es nicht von mir aus erzählen, weil ihre Mutter nichts davon weiß, und weil sie mir die Schuld gibt, wenn sie …«
    »Und wenn schon! Sally, vielleicht ist sie tot. Tot. Hast du das verstanden? Niemand käme auf die Idee, dir die Schuld zu geben. Aber dann wüssten wir wenigstens Bescheid!«
    »Es reicht«, unterbricht mich Joe, und ich werfe ihm einen wütenden

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