Die Schuld einer Mutter
abgesehen. Sie sagt, manche Leute wechseln bis heute die Straßenseite, wenn sie sie erblicken; Freundinnen, die ihr über dreißig Jahre zur Seite gestanden hatten, sagten sich von ihr los.
Inzwischen arbeitet Jackie als Altenpflegerin und bringt mir regelmäßig die Haustiere ihrer verstorbenen Patienten vorbei.
Ich werfe ihr einen überraschten Blick zu, als ich sehe, dass sie mit leeren Händen gekommen ist.
»Was ist denn?«, fragt sie, bis es ihr selbst auffällt. »Oh, keine Panik, heute habe ich keine Tiere dabei. Ich wollte mit Ihnen sprechen. Mal sehen, wie’s Ihnen geht. Meine Joanne hat mir erzählt, dass das vermisste Mädchen angeblich bei Ihnen war, als es verschwand.«
»Ja, das stimmt gewissermaßen«, sage ich. Und dann muss ich nachfragen: »Ihre Joanne – Sie sprechen von DC Aspinall? Ist sie Ihre Tochter?«
»Meine Nichte.«
»Das haben Sie mir nie erzählt.«
»Nun ja, sie mag es nicht, wenn ich es herumerzähle. Wenn Sie mich fragen, ist sie da ein bisschen paranoid. Sie denkt, wenn alle wissen, dass sie bei der Kripo ist, werden ihre Autoreifen zerstochen. Jedenfalls hat meine Joanne gesagt, Sie seien am Boden zerstört – wegen des Mädchens –, und da dachte ich, ich schaue mal vorbei und frage, wie’s Ihnen geht. Ich war ohnehin in der Nähe.«
»Ehrlich gesagt versuche ich, mich abzulenken. Na ja, ich will mir nicht vorstellen, was ihr zugestoßen ist. Da kommt mir die Arbeit gerade recht. Sie möchten nicht zufällig ein Kätzchen mitnehmen, oder?«
»Nein.«
»Ein ganz kleines?«
»Bei uns sind Haustiere nicht erlaubt.«
»Sie könnten es heimlich mitnehmen. Niemand müsste etwas erfahren.«
Mad Jackie lacht. »Höchstens der Vermieter. Außerdem ist Joanne die Hauptmieterin, nicht ich. Sie lässt mich nur bei sich wohnen, weil ich mir nichts Eigenes leisten kann. Sie würde mir niemals erlauben, eine Katze zu halten.«
»Dann eben nicht. Man kann es ja mal versuchen. Wir sind bis zum Platzen überbelegt, und heute habe ich auch noch einen Wurf halbtoter Kätzchen bekommen … und wenn sie überleben, weiß ich nicht, wohin mit ihnen. Was für ein Tag«, sage ich. »Was für eine Woche.«
»Was glauben Sie, was mit dem Mädchen passiert ist?«
»Da wissen Sie vermutlich mehr als ich.«
»Wie meinen Sie das? Wegen Joanne? Oh, die erzählt mir nie etwas. Sie darf das nicht, und sie hält sich peinlich genau an die Regeln. Wie geht es denn der Mutter? Joanne hat gesagt, Sie sind mit ihr befreundet?«
»Haben Sie die Pressekonferenz gesehen?«
Jackie nickt.
»Ich nicht, es ging nicht«, sage ich bekümmert. »Schlimm genug zu wissen, in was für eine unerträgliche Lage ich sie gebracht habe, und trotzdem konnte ich es mir nicht ansehen …«
Ich breche ab, denn die Tür geht auf, und eine Frau mit einem West Highland Terrier kommt herein.
Sie trägt eine dieser Steppjacken aus glänzendem Stoff, eine Designerjeans und pinkfarbene Gummistiefel von Hunter, dazu eine alberne Fellmütze mit Ohrenklappen – als wäre sie eben noch im Wald gewesen, um Biberfallen aufzustellen.
Mad Jackie wirft mir einen schiefen Blick zu und tritt vom Tresen zurück, um der Frau den Weg frei zu machen.
»Guten Tag«, sagt die Frau. Sie ist etwa Mitte vierzig. »Ich habe unseren Hamish mitgebracht, weil wir umziehen müssen. Wir gehen in den Nahen Osten, und da habe ich mich gefragt, ob Sie ihn mir vielleicht abkaufen möchten.« Sie sagt das in einem so fröhlichen, unbekümmerten Tonfall, als würde sie mir einen Gratisurlaub anbieten.
Jackie bekommt einen Hustenanfall.
»Wir kaufen keine Tiere«, erkläre ich, und die Frau legt den Kopf schief.
»Aber er ist ein so lieber Hund, reinlich und wohlerzogen. Ich habe die Papiere vom Züchter dabei«, sagt sie und winkt mit einem Umschlag.
Geduldig erkläre ich ihr, wie das bei uns läuft und was wir tun. Obwohl ich gerne behaupten würde, dass es sich um eine Ausnahme handelt, wenn jemand für einen Rassehund Geld verlangt, muss ich sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Es passiert mindestens alle zwei Wochen. Die Leute glauben im Ernst, sie kämen hier mit einem Hightech-Gerät an. Warum sollte man das Ding nicht haben wollen, wenn sie im Preis so weit runtergehen? Wenn sie einem ein so gutes Angebot machen?
Ich zucke ratlos mit den Schultern. »Es tut mir leid«, sage ich, »aber wir sind ein gemeinnütziger Verein.«
Ihre freundliche, sonnige Art ist plötzlich wie ausgeknipst, und ihr Gesicht wird ernst und nachdenklich. Mit
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