Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Daly
Vom Netzwerk:
aggressiv – das sind Hunde seiner Rasse selten –, aber eigentlich möchte er lieber seine Ruhe haben.
    Bluey ist seit fünf Monaten im Tierheim, und der Grund dafür, dass niemand ihn haben will, ist sein Alter. Niemand möchte einen alten Hund, der mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann krank wird und zum Tierarzt gebracht werden muss. Aber jedes Mal, wenn ich an seinem Zwinger vorbeigehe, versetzt es mir einen Stich ins Herz. Er steht immerzu vorne an der Tür – niemals sehe ich ihn sitzen oder liegen – und wartet. Er wartet immerzu. Er ist wie eines jener Pferde, die im Western draußen vor dem Saloon im Regen stehen. Mit gesenktem Kopf, halb eingeknickten, krummen Hinterläufen und halb geschlossenen Augen wartet er geduldig.
    Letzte Woche habe ich mit Joe über Bluey gesprochen, und wir haben beschlossen, dass wir ihn, sollte er nicht innerhalb von zwei Wochen vermittelt werden, bei uns aufnehmen werden.
    Aber dann, gegen zwei Uhr nachmittags, fange ich an zu glauben, dass es doch noch einen Gott gibt. Denn gerade als ich an einem neuen Tiefpunkt angekommen bin, nichts Neues über Lucinda weiß und drei tote Kätzchen im Arm halte, kommt ein Mann herein und erzählt mir, dass er gerne einen armen, alten Hund aufnehmen möchte.
    Ich erzähle ihm sofort von Bluey, und das Alter des Tieres scheint den Mann kein bisschen abzuschrecken; im Gegenteil, er sagt sogar, ein älterer Hund wäre ihm lieber, da er für einen Welpen momentan keine Zeit habe.
    »Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, was für ein liebes Tier Bluey ist, so ruhig und sanft, der perfekte Gefährte«, sage ich. »Hatten Sie schon einmal einen Hund?«
    »Nur als Kind. Aber in den letzten Monaten habe ich mich oft ein bisschen einsam gefühlt, ich bin neu hier in der Gegend, und da dachte ich, das wäre eine gute Möglichkeit, Bekanntschaften zu schließen.«
    Ich nicke zustimmend, wie um zu sagen: Ja, ich weiß, wie das ist. Aber insgeheim kann ich kaum nachvollziehen, dass dieser Mann angeblich keine Leute kennenlernt. Diskret rutscht mein Blick zu seiner linken Hand. Ich entdecke einen schmalen weißen Strich, wo sonst der Ehering sitzt. Entweder ist er frisch getrennt, oder er hat den Ring abgenommen, um sich fern der Heimat als Single auszugeben.
    Er trägt einen wadenlangen Wachsmantel von Barbour und einen karierten Wollschal. Den Schal hat er so geknotet, wie es die gut betuchten Leute heutzutage tun: Er hat ihn einmal der Länge nach gefaltet, sich um den Hals geschlungen und die Enden durch die Schlaufe gesteckt. Manche Leute sehen aus wie halb erwürgt, wenn sie so durch die Gegend laufen, aber an ihm sieht es schick aus.
    Ich würde ihn auf vierunddreißig schätzen. Ein attraktiver Mann. Und er weiß es.
    »Darf ich mir Ihren Namen notieren?«
    »Charles Lafferty.«
    Ich setze die Kugelschreiberspitze aufs Papier, und für eine Sekunde zucken wir beide zusammen, denn ein Tornado donnert mit ohrenbetäubendem Lärm über das Tierheim hinweg. Die Wände wackeln, und ich kneife die Augen zusammen. Der dritte innerhalb von einer Stunde, und so langsam wird es anstrengend. Bei gutem Wetter ist es manchmal, als schicke die Royal Air Force jeden einzelnen ihrer Kampfpiloten für eine Übungsrunde über die Seen.
    Auch Charles Lafferty krümmt sich unter dem Lärmangriff. Als er vorüber ist, fragt er: »Haben Sie viele Hunde zu vermitteln?«
    »Zu viele«, antworte ich. »Und nach Weihnachten werden es zweifellos noch mehr.«
    »Tatsächlich? Verschenken die Leute immer noch Haustiere? Ich dachte, das wäre schon längst nicht mehr so … bei den vielen ›Ein Hund ist kein Spielzeug!‹-Aufklebern, die man an den Autos sieht.«
    Ich hebe kurz den Kopf. »Offenbar nicht … aber wissen Sie, die meisten dieser ungewollten Welpen kommen nicht vor Juni zu uns. Das ist ungefähr die Zeit, in der aus den niedlichen Weihnachtswelpen verrückte, wilde Halbstarke geworden sind. Die Neujahrsschwemme kommt eher daher, dass Weihnachten die Leute so ungemein stresst. Sie fühlen sich überfordert. Und das Erste, was ihnen einfällt, um sich zu entlasten, ist, den Hund abzugeben.«
    »Die armen Dinger«, sagt er ernst. »Ich wünschte, ich könnte mehr als einen mitnehmen.«
    »Einer ist ganz wunderbar. Glauben Sie mir. Wenn jeder unserer Besucher einen Hund nehmen würde, wäre die Welt …«
    Ich fange an zu plappern.
    »Lassen Sie mich Ihnen Bluey zeigen«, sage ich knapp. »Nun habe ich Ihnen den Hund aufgeschwatzt, und Sie haben ihn nicht

Weitere Kostenlose Bücher