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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Daly
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der zwölften Woche ist, wenn man sieben Jahre alt ist und vor der Bescherung an Weihnachten die Zeiger der Uhr vorankriechen sieht. Und wenn man auf den Krankenwagen wartet, weil die beste Freundin versucht hat, sich umzubringen, und alle Straßen von einer dicken Eisschicht bedeckt sind.
    Die längsten Minuten meines Lebens.
    Das Warten ist die reinste Qual, weil ich nichts für Kate tun kann. Sie stinkt und ist leblos, sie atmet kaum, ihr Puls ist flach und unregelmäßig. Und da ist absolut nichts, was ich tun kann, außer ihr hilflos über den Kopf zu streicheln.
    Ich hatte es zuerst nicht bemerkt, aber als ich versuchte, sie in die stabile Seitenlage zu bringen, fiel mir auf, dass ihre Pyjamahose nass von Durchfall war, der sich schon auf den Marmorfliesen der Küche verteilte. Ich wischte alles auf, so gut es ging. Dann schaltete ich das Radio aus und wartete.
    Als Erster kommt ein Sanitäter im Land Rover an. Ich kenne den Mann flüchtig; ich habe ihn schon öfter im Ort gesehen, wenn er sich ein Sandwich kauft oder Geld abhebt. Er hat ein nettes Gesicht und eine schiefe Nase, auf die er wohl einen Schlag abbekommen hat. Vielleicht beim Rugby. Er hätte die passende Statur dafür. Er erzählt mir, dass der Krankenwagen auf dem Weg ist und er schon einmal Erste Hilfe leisten wird, denn … Er zögert und spricht, als bedaure er es sehr, aber: »Die werden es nicht leicht haben, hier raufzukommen.«
    »Was meinen Sie, wie lange werden sie brauchen?«, frage ich mit zittriger Stimme, und er zuckt mit den Achseln und macht wieder ein bekümmertes Gesicht. »Nicht zu lange, hoffe ich«, sagt er.
    Er zeigt auf die Pillenfläschchen auf dem Küchentisch. »Mehr hat sie nicht genommen?« Er bittet mich, im Obergeschoss nachzusehen, in den Schlafzimmern und den Medizinschränkchen. Vielleicht finde ich weitere leere Dosen. Der Notarzt müsse das unbedingt wissen, sagt er.
    In den Fläschchen auf dem Tisch waren Antidepressiva. Amitriptylin und Phenelzin. Ich kenne die Wirkstoffe, weil meine Mutter sie genommen hat. Manchmal musste ich sie ihr aus der Apotheke holen. Am meisten schockiert mich, dass Kate Antidepressiva nimmt, und offenbar schon lange genug, um einen heimlichen Vorrat anzulegen und sich das hier anzutun. Zwei der Flaschen sind auf August datiert, die dritte auf Oktober.
    Offenbar stellt sich bei allen Menschen, von denen ich glaube, sie hätten alles unter Kontrolle, sie hätten ihr Leben viel besser im Griff als ich, irgendwann heraus, dass sie Antidepressiva nehmen. Ich scheine in dieser Frage sehr naiv zu sein.
    Ich stehe in Kates wunderschöner Küche, schaue auf ihren leblosen Körper hinunter und denke: Warum in aller Welt braucht sie solche Tabletten? Warum, wo sie doch alles hat?
    Warum sie eine Überdosis genommen hat, kann ich natürlich verstehen, immerhin besteht die Möglichkeit, dass Lucinda nicht mehr lebt. Ja, das kann ich verstehen. Aber wozu hat sie solche Medikamente überhaupt im Haus?
    Ich muss wohl einsehen, dass das Bild, das ich mir von einem Menschen mache, und die Wahrheit meilenweit auseinanderliegen. Und doch weiß ich, dass viele Frauen solche Medikamente nehmen. Was war Kates Grund?
    »Was werden Sie mit ihr machen?«, frage ich den Sanitäter, bevor ich mich auf die Suche nach weiteren leeren Pillendosen mache.
    »Wenn sie nicht mehr geschluckt hat als diese hier, wird man ihr durch einen Schlauch Kohle einführen. Das ist das übliche Verfahren … falls sie rechtzeitig hier eintreffen. Es kommt immer auf den Fall an. Möchten Sie irgendwen benachrichtigen?«
    »Ich sollte ihren Ehemann anrufen, aber ich habe seine Handynummer nicht.« Hilflos ringe ich die Hände. »Er sollte hier sein … ich weiß auch nicht, wo er steckt … sie …« Ich fange an, dem Mann von Lucinda zu erzählen und was dieser armen Familie passiert ist, aber dann beiße ich mir auf die Zunge. Ich muss jetzt nach oben laufen und mich umsehen, bevor der Krankenwagen kommt, außerdem habe ich eine gute Idee: Ich werde Kates Handy anrufen, das irgendwo hier im Haus sein muss. Sicher ist Guys Nummer darin gespeichert.
    Ich stehe in Kates Badezimmer, rufe ihr Handy mit meinem an und lausche, kann aber im ganzen Haus kein Klingeln hören. Ich suche alle Zimmer ab, so schnell ich kann, denn gleich wird der Krankenwagen hier sein. Mir bleibt nicht viel Zeit.
    Ich reiße den Badezimmerschrank auf und bekomme einen unangenehmen Einblick in das Leben der Rivertys. Neben den Antidepressiva hortet Kate auch

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