Die Schuld einer Mutter
nicht damit gerechnet, sie in diesem Zustand vorzufinden. So viel ist sicher.«
»Was glauben Sie, warum sie das getan hat?«
»Kate?«
»M-hm.«
Sie zuckt mit den Achseln. »Wahrscheinlich wurde ihr alles zu viel. Das wäre mein Tipp. Ich meine, wie soll man mit so etwas fertig werden? Die Antwort ist: gar nicht.«
»Sie hat Antidepressiva genommen, stimmt das?«
»Ja.«
»Hat sie auf Sie einen depressiven Eindruck gemacht?«
»Nie. Aber darauf darf man ja nicht viel geben. Anscheinend nimmt das Zeug heutzutage jeder. Na ja, jeder außer mir. Als ich meinem Arzt sagte, dass ich mich so niedergeschlagen fühle, sagte er, ich wäre einfach nur frustriert … offenbar gibt es da einen Unterschied.«
Joanne lächelt. »Ich glaube, wir haben denselben Hausarzt. Vielleicht erzählen Sie mir jetzt die Geschichte von dem Mann und dem Hund?«
»Inzwischen kommt mir die ganze Sache lächerlich vor, nach alldem hier …« Lisa holt mit dem Arm aus und zeigt in Richtung Küche.
»Erzählen Sie es mir trotzdem.«
Lisa Kallisto beschreibt, wie der Bedlington-Terrier verschwand. Wie dringend sie ein neues Zuhause für ihn gesucht hatte, wie glücklich sie gewesen war, dass ihre Gebete anscheinend erhört worden waren, sie erzählt von dem Mann in der Nadelstreifenhose, und …
Joanne hat mitgeschrieben, aber jetzt hält sie inne und hebt den Kopf. »Nadelstreifen, sagen Sie?«
»Ja, seine Kleidung wirkte sehr elegant. Teuer. Er sah nicht aus wie die anderen Tierheimbesucher.«
»Wie alt?«
»Mitte dreißig.«
»War er attraktiv?«
Lisa bläst die Backen auf. »Und wie.«
»Haben Sie nach seinem Namen gefragt?«
»Charles Lafferty.«
»Vermutlich haben Sie keine Adresse? Oder Telefonnummer?«
Lisa lässt den Kopf hängen. »Die wollte ich mir geben lassen, wenn er den Hund zurückbringt. Es hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten … aber ich dachte, wenn ich Kate von ihm erzähle, erkennt sie ihn vielleicht wieder. Dafür ist es nun zu spät.«
»Nein, es ist nie zu spät. Jeder Hinweis bringt uns weiter.«
Joanne klappt ihren Notizblock zu und beugt sich zu Lisa herüber. Sie nickt mit dem Kopf in Richtung Küche, wo Guy immer noch sitzt, und flüstert: »Hat er Ihnen gesagt, wo er gestern Abend war?«
»Ich habe ihn nicht gefragt.«
»Was glauben Sie?«
»Keine Ahnung.«
Und dann steigt Joanne die Treppe hinauf, um mit dem Jungen zu sprechen.
DS Ron Quigley trifft Joanne im Krankenhaus. Kate ist noch nicht wieder bei Bewusstsein, aber sie wird überleben.
Ron überreicht Joanne einen Styroporbecher mit starkem schwarzem Tee aus der Krankenhaus-Cafeteria. Joanne hat den Eindruck, dass Ron die beiden alten Damen an der Kasse mit machomäßigen Polizeianekdoten unterhalten hat, denn sie kichern und erröten, wann immer er sich zu ihnen umdreht. Beide sind mindestens achtzig, und die eine hat sich die Perücke ein bisschen zu tief in die Stirn gezogen. Die andere hat einen dicken, weichen Bauch, der unter ihrem Polyesterkleid wackelt, wenn sie spricht.
»Danke, Ladys«, sagt der charmante Ron. »Gut gemacht, weiter so!«
»Machen wir, Detective!«, säuseln sie im Chor.
Ron und Joanne betreten die Krankenhauslobby. Es ist drückend heiß, so wie in allen Krankenhäusern, und Joanne zieht ihren Parka aus und hängt ihn sich über den Arm. Ihr wird bewusst, dass ihre Bluse spannt, deswegen behält sie die Strickjacke an und lässt sie zugeknöpft, auch wenn ihr fast schwindlig wird vor Hitze.
»Was glaubst du?«, fragt er. Er meint den Grund für Kate Rivertys Selbstmordversuch.
Joanne will gerade antworten, als sie eine Reporterin bemerkt, die sie vor dem Haus der Rivertys schon einmal gesehen hat. Als die Frau Joanne entdeckt, springt sie auf, wobei die Absätze ihrer High Heels laut über den Boden scharren, und eilt heran. Joanne hatte schon einmal mit dieser Frau zu tun. Sie ist von der aufdringlichen, unangenehmen Sorte und hat Joanne früher einmal im Zusammenhang mit einem Brandanschlag falsch zitiert. Joanne hat keine Lust, jetzt mit ihr zu sprechen.
Sie gibt Ron mit den Augen ein Zeichen, und eilig entfernen sie sich durch den Flur in Richtung der Aufzüge, wo sie seine Frage beantwortet.
»Ich glaube, sie hat gelogen, um ihm ein Alibi zu geben, und dann kam sie mit dem Gedanken nicht zurecht, er könnte etwas über Lucindas Verschwinden wissen. Nicht er hat sie gefunden, sondern die Freundin. Und er war gestern Abend nicht zu Hause … aber wo sonst? Er wollte es mir nicht sagen.
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