Die Schuld einer Mutter
Eigentlich war er ziemlich in der Defensive.«
»Willst du ihn vorladen?«
»Ich denke, das sollten wir.«
»Auf welcher Grundlage? Wir haben ihm nichts vorzuwerfen. Wir haben keine Beweise dafür, dass er für die Entführung seiner eigenen Tochter verantwortlich ist, selbst wenn er ein untreues Arschloch ist …«
»Ich weiß auch nicht, Ron. Irgendwas stinkt hier gewaltig.«
Sie hören ein lautes Sirren, als würde irgendwo ein Gerät angeworfen. Sie bleiben stehen und schauen in den Verbandsraum zu ihrer Rechten. Einem Jungen wird der Gips vom Unterschenkel entfernt, aber er sieht aus, als würde er gleich ohnmächtig vor Angst. Der Pfleger versucht ihm klarzumachen, dass die Gipssäge seine Haut nicht berühren wird, aber das Kind lässt sich nicht überzeugen. Die Mutter auch nicht.
»Hast du mit den Sanitätern gesprochen?«, fragt Joanne Ron, als sie weitergehen.
»Ja. Angeblich wird sie es überstehen. Sie hatte die Tabletten nicht lange genug im Magen, um sich ernstlich zu vergiften.«
»Wann können wir mit ihr reden?«
»Sobald sie aufgewacht ist. Das könnte heute Nachmittag sein. Am besten fahren wir zur Wache zurück, bestellen Guy Riverty ein und reden erst später mit seiner Frau. So herum ist es wahrscheinlich sinnvoller.«
Joannes Teebecher ist leer, und sie sieht sich auf dem Flur nach einem Mülleimer um. »Glaubst du wirklich, sie wollte sterben, Ron, oder haben wir es hier mit einem Hilferuf zu tun?«
Ron zuckt mit den Achseln. »Bei gescheiterten Versuchen gehe ich immer von einem Hilferuf aus. Wer es wirklich vorhat, zieht es auch durch. Die Leute, die es ernst meinen, gehen auf Nummer sicher und hängen sich auf.«
»Sich aufzuhängen kommt für die wenigsten Frauen in Betracht, Ron. Zu gewalttätig.«
»Aber effektiv.«
Joanne schüttelt den Kopf. »Erinnere mich daran, mich bloß nicht an dich zu wenden, sollte ich jemals Kummer haben.«
»Warum?«, fragt Ron in gespielter Gekränktheit. »Man sagt mir nach, dass ich ein guter Zuhörer bin.«
30
I ch stehe zu Hause unter der Dusche und seife mich nach meinem Besuch bei Kate von oben bis unten ein. Meine Klamotten sind in der Kochwäsche, und Joe sitzt auf der Toilette (vollständig bekleidet auf dem heruntergeklappten Deckel) und denkt laut über Kates Motive nach.
Ich bin immer noch nervös und zittrig, und meine Arme und Beine wollen mir noch nicht so recht gehorchen. Als ich mich vorbeuge und meine Unterschenkel einseife, rutsche ich beinahe aus.
Bei uns hängt der Duschkopf über der Badewanne, was sehr praktisch ist, will man die Hunde abduschen, wenn sie sich in Fuchskot gewälzt haben; allerdings fehlen bei uns die Antirutschmatten, wie sie in vielen Duschtassen liegen. In diesem Moment könnte ich gut eine gebrauchen. Die alte habe ich letzten Monat weggeworfen, weil mir aufgefallen war, dass an der Unterseite, im Verborgenen, ein biologisches Experiment vonstatten ging.
»Hat Fergus Kate in dem Zustand gesehen?«, fragt er.
»Ich habe es geschafft, ihn im Obergeschoss festzuhalten, bis die Sanitäter sie mitgenommen haben.«
»Der arme Junge. Nun wird er noch sonderlicher, als er ohnehin schon ist.«
»Joe« , sage ich tadelnd.
»Was denn? Du bist diejenige, die immer sagt, wie verschroben er ist.«
»Ja, das ist er auch … aber trotzdem.« Ich drehe das Wasser ab. »Reich mir bitte mal ein Handtuch, ja?«
Er steht auf und lässt seinen Blick über meinen nackten Körper gleiten. »Gut siehst du aus«, sagt er leise und hält mir das aufgefaltete Handtuch entgegen. Er wickelt mich darin ein und küsst mich auf die nasse Stirn. »Mach das nicht noch mal«, sagt er. »Ich kann ohne dich nicht leben, Lise. Wir alle brauchen dich.«
»Ich habe nichts dergleichen vor«, sage ich und küsse ihn auf den Mund. Sein Körper reagiert sofort, wie immer, und unpassenderweise flüstert er mir ins Ohr: »Und, wie wär’s?«
»Wir haben keine Zeit …«
»Doch, haben wir.«
»Es wäre nicht richtig … du und ich treiben es hier im Badezimmer, während Kate der Magen ausgepumpt wird …«
»Wir brauchen es Kate ja nicht zu erzählen«, haucht er in meinen geöffneten Mund. »Außerdem hast du ihr heute Morgen das Leben gerettet. Sicher würde sie uns verzeihen … ehrlich, sie ist dir etwas schuldig, wenn man mal genauer drüber nachdenkt …«
Er schiebt seine Finger unter das Handtuch und lässt sie auf den Grübchen über meinen Pobacken liegen.
»Aber sie hätte die Tabletten gar nicht erst genommen, wenn
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