Die Schuld einer Mutter
dass es egal ist, wie exzellent ihr Ruf ist. Ein weiteres Leben liegt in Trümmern.
McAleese kaut an der Spitze seines Stifts, und alle schweigen, weil er im Kopf eine Liste abhakt. Er nagt von innen an seiner Wange und sagt schließlich: »Der Vater von Francesca Clarke ist kurz vorm Durchdrehen, er ist unzufrieden mit dem Verlauf der Ermittlungen und so weiter und so fort. Ich brauche einen Freiwilligen … wer meldet sich?«
Als sich niemand meldet, um den undankbaren Job zu übernehmen, hebt Joanne die Hand. Mit derlei Situationen kommt sie besser zurecht als ihre männlichen Kollegen; sie ist in der Lage, einem unzufriedenen Bürger glaubhaft zu versichern, dass den Einsatzkräften jegliches Fehlverhalten aufrichtig leidtue, wie auch immer das ausgesehen haben mag – ohne die Kollegen für irgendetwas haftbar zu machen.
Diese Fähigkeit hatte Joanne sich schon als Teenager angeeignet, als sie in einem der schickeren Hotels der Gegend als Zimmermädchen arbeitete. Wenn wütende Gäste sich beschwerten, weil sie ein Haar in den Laken gefunden hatten oder Rost an der Teekanne, fiel es ihr unglaublich leicht, sich zu entschuldigen und dem Gast darin beizupflichten, wie unerträglich dieser Missstand doch sei. Denn im Grunde wollten sie alle nur das eine: eine Entschuldigung. Niemanden interessierte es, ob sie aufrichtig gemeint war. Und doch sind zu Joannes großer Verwunderung viele Leute nicht in der Lage, eine Entschuldigung auszusprechen.
DI McAleese lehnt dankend ab. Er möchte Joanne nicht vom Fall Riverty abziehen, noch nicht. Sie soll den Mann ausquetschen, so gut es geht. »Die Frau von diesem Arsch hat nicht grundlos versucht, sich umzubringen.«
Es soll Joanne recht sein. Sie hat ohnehin große Lust, die Befragung weiterzuführen. Sie ist überzeugt, dass sie ihn früher oder später wieder vorladen werden, und dann wird sie ihn wieder fragen, wo er gestern Abend war. Irgendetwas sagt ihr, dass die Antwort auf diese Frage ganz und gar nicht unwichtig für ihre Ermittlung ist, auch wenn Guy Riverty das Gegenteil behauptet.
McAleese führt weiter durch das Meeting und stellt Kollegen zu Haustürbefragungen ab oder dazu, stundenlang grobkörniges Videomaterial aus den Überwachungskameras zu sichten. Als sich eine kurze Diskussion darüber entspinnt, wie die Presseerklärung aussehen soll, vibriert das Handy in Joannes Tasche zweimal. Sie zieht es heraus und liest eine SMS von Lisa Kallisto.
Sorry für die Störung. Vermisster Hund wieder da. Viel Lärm um nichts!
Joanne liest die SMS wieder und wieder, bevor sie ihren Chef unterbricht. »Sir, weiß die Öffentlichkeit schon, dass Mädchen Nummer drei gefunden wurde?«
»Nein, noch nicht. Wir haben noch nichts verlauten lassen. Warum?«
»Eben schreibt mir die Frau vom Tierheim. Sie hatte mich gestern angerufen, um einen Hundediebstahl zu melden. Der alte graue Hund, erinnern Sie sich?«
»Derselbe Hund, den der Typ dabeihatte, der in der Nähe der Schule herumlungerte?«
Joanne nickt. »Nun, der Hund ist wieder da. Halten Sie das für einen Zufall?«
»Kann sein«, sagt er, »aber Sie sollten sich die Sache genauer ansehen.«
Joanne dreht sich zu Ron um. »Haben wir jemals einem Hund eine DNS-Probe abgenommen, Ron?«
Ron lächelt. »Nicht dass ich wüsste.«
Auf dem Rückweg zum Verhörraum ruft Joanne Lisa Kallisto an.
Lisa meldet sich und sagt: »Mein Gott, es tut mir so leid. Sie müssen mich für völlig verrückt halten. Nun ist Bluey wieder da, und es geht ihm gut, alles ist in Ordnung.«
»Ist der Hund jetzt bei Ihnen?«
»Wie bitte? Nein. Ich sitze im Büro und erledige den lästigen Papierkram. Er ist drüben im Zwinger.«
»Bitte waschen Sie das Tier nicht. Auch nicht bürsten. Und halten Sie ihn von anderen Hunden und von Ihren Mitarbeitern fern, bis wir da sind.«
Lisa wundert sich. »Was hat er denn verbrochen?«
»Gar nichts.« Joanne muss lächeln. »Es geht darum, wo er war. Wir werden ihm Fellproben entnehmen, weil …«
»Mein Gott«, sagt Lisa. »Sie wollen damit sagen, Bluey ist ein Beweisstück ?«
Joanne hätte es weniger dramatisch formuliert, aber dann antwortet sie: »Ja. Wir brauchen ihn als Beweisstück.«
»Was soll ich tun?«, fragt Lisa.
»Sie brauchen gar nichts zu tun. Wie ich schon sagte, bitte sorgen Sie nur dafür, dass niemand ihn wäscht oder bürstet. Am besten, Sie gehen auch nicht mit ihm spazieren.« Letzteres schiebt Joanne noch nach, sie weiß selbst nicht genau, ob es nötig ist. »Ich
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