Die Schuld wird nie vergehen
Strafverteidiger zu finden, falls Sie das wollen.«
Vanessa ließ vor Erleichterung die Schultern sinken und lächelte zum ersten Mal. »Danke. Ich gebe Ihnen fünftausend Dollar Vorschuss. Ich kann es mir leisten. Eine Bedingung habe ich allerdings noch. Niemand außer Dan darf erfahren, dass ich Sie engagiert habe. Verstehen Sie das? Niemand darf wissen, dass ich in Portland bin oder Sie engagiert habe.«
»Ich halte Sie aus der Angelegenheit heraus«, versprach Ami. Doch während Vanessa ihren ersten Scheck zerriss und einen neuen ausschrieb, dachte Ami darüber nach, was sie gerade zugesagt hatte. Was hatte sie sich da eingebrockt?
7. KAPITEL
Kaum hatte sich die Tür hinter ihrer neuen Klientin geschlossen, bereute Ami ihren Entschluss, Morelli zu besuchen. Auf der Fahrt zum County-Krankenhaus wuchsen ihre Furcht und ihre Zweifel. Sie verstärkten sich noch, als Ami die Tür zu Dr. Leroy Ganetts Büro öffnete. Er war der für Morelli zuständige Arzt.
Ganett war ein großer, knochiger Mann mit braunem Haar. Er saß mit dem Rücken zum Fenster seines Büros hinter einem grauen Metall Schreibtisch, neben dem ein altes, hölzernes Buchregal an der Wand stand. Ami stellte sich vor, und Ganett bedeutete ihr, auf einem Stuhl vor der Wand Platz zu nehmen, an der seine Diplome und ein Foto hingen, das ihn in Shorts und T-Shirt auf einem Steg vor einem riesigen Schwertfisch zeigte.
»Was kann ich für Sie tun, Mrs. Vergano?«
»Daniel Morelli ist mein Mandant. Ich möchte ihn sehen.«
»Mich hat niemand informiert, dass das Gericht einen Pflichtverteidiger bestimmt hat.«
»Ich bin nicht sein Pflichtverteidiger. Man hat mich engagiert, Mr. Morelli zu vertreten.«
Ganett runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob ich Sie ohne Genehmigung des Staatsanwaltes zu Morelli vorlassen darf.«
Ami hatte befürchtet, dass Dr. Ganett so etwas sagen würde. Sie hatte keine Ahnung, ob der Staatsanwalt sie daran hindern konnte, Dan zu sehen. Als sie Vanessa Kohler erklärt hatte, dass sie keine Ahnung vom Strafrecht hatte, hatte sie ihr nichts vorgemacht, doch sie erinnerte sich an etwas, was sie einmal in einer Anwaltsserie im Fernsehen gesehen hatte.
»Dr. Ganett, in Amerika hat jedermann das Recht auf einen Rechtsbeistand. Das wird von der Verfassung ausdrücklich garantiert. Der Staatsanwalt hat ebensowenig die Macht, Daniel Morelli von seinem Anwalt fernzuhalten wie dieses Krankenhaus.«
Dr. Ganett wirkte verunsichert. Ami lächelte ihn an und sprach jovialer weiter. »Hören Sie, Doktor, ich will keine große Angelegenheit aus diesem Besuch machen. Und bestimmt haben Sie auch kein Interesse daran, das Krankenhaus in einen Prozess zu verwickeln, den es nicht gewinnen kann.«
Ami hoffte fast, dass Ganett sich weiterhin weigerte, sie zu Dan vorzulassen. Dann hätte sie ihre Hände in Unschuld waschen können. Doch Ganett zuckte mit den Schultern.
»Vor seiner Tür hält ein Polizist Wache. Wenn er nichts dagegen hat, werde ich Sie auch nicht hindern.«
»Danke. Wie geht es Mr. Morelli?«
»Er ist deprimiert und in sich gekehrt. Seit er hier eingeliefert wurde, hat er mit niemandem gesprochen. Es hätte mich allerdings auch gewundert, wenn er besonders gut gelaunt gewesen wäre. Er wurde angeschossen und erwartet einen Prozess. Unter diesen Umständen ist eine Depression vollkommen normal.«
»Wie ist sein physischer Zustand?«
»Er war ziemlich am Ende, als er zu uns kam. Eine Kugel hat die Milz durchschlagen und die Leber gestreift. Die Milz mussten wir entfernen. Dazu kommt der Blutverlust. Mr. Morelli erhält Antibiotika und Schmerzmittel, und wir führen einige Tests durch, weil er Anzeichen von Fieber zeigt. Angesichts dieser Umstände geht es ihm ganz gut.«
Ganett reichte Ami einen medizinischen Befund. »Hier. Den können Sie behalten. Es ist eine Kopie.«
Ami überflog den Bericht, und Dr. Ganett übersetzte ihr die medizinischen Fachausdrücke, die sie nicht verstand.
Morelli hatte einen Überschuss an weißen Blutkörperchen, außerdem wies er einige alte Narben auf und Spuren von plastischer Chirurgie. Eine Röntgenaufnahme des Bauches zeigte Metallfragmente hinter dem rechten Darmbein, die wie Schrapnell aussahen. Die Blutwerte waren stabil.
»Sie schreiben, dass die Wunden bereits heilen. Wie lange muss Mr. Morelli noch im Krankenhaus bleiben?«
»Ich lasse ihn jedenfalls nicht schon morgen ins Gefängnis verlegen, falls Ihre Frage darauf abzielt. Er benötigt noch medizinische Pflege, aber er
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