Die Schuld wird nie vergehen
nachdem ich herausfand, was da eigentlich vorging, aber das war erst viel später. Ich war ein kleiner Fisch, ein einfacher Fußsoldat. Man hat mir befohlen, die Karawane in einen Hinterhalt zu locken und die Drogen zu einer bestimmten Person zu bringen. Das habe ich gemacht. Dann bin ich nach Hause gegangen. Ich habe meine Befehle nicht hinterfragt.«
»Sie sagten, nur ein Teil des Heroins sei nach Saigon geschickt worden. Was ist mit dem Rest passiert?«
»Einiges davon wurde an das Organisierte Verbrechen in den Vereinigten Staaten abgegeben, im Austausch für gewisse Gefälligkeiten.«
»Ist das Ihr Ernst?«
Morelli nickte. »Der Verkaufserlös aus dem Rest floss in einen geheimen Fond, der die Operationen meiner Einheit finanzierte. Das Geld parkte auf geheimen Konten irgendwelcher suspekter Banken. Nur wenige Menschen kannten die Zugangsnummern zu diesen geheimen Konten.« Morelli wirkte abwesend. »Vermutlich existieren diese Konten längst nicht mehr.«
Morellis Geschichte wurde mit jeder neuen Enthüllung immer verworrener, und Ami erinnerte sich an das, was Dr. French über Menschen gesagt hatte, die in einem paranoiden Wahnzustand lebten. Sie konnten vollkommen plausible Geschichten erfinden, an denen nicht das Geringste stimmte. Ami wollte nach genaueren Details fragen, die sie überprüfen konnte, als sie sich an eine unbedeutende Information erinnerte, die sie kürzlich gelesen hatte.
»Kennen Sie General Morris Wingate?«
Morelli sah sie bestürzt an. »Warum fragen Sie mich nach ihm?«
»Er war der Leiter der AIDC während des Vietnamkrieges. Ich habe einen Bericht über ihn im Newsweek gelesen. Also, kennen Sie ihn? Vielleicht könnte er Ihnen helfen.«
Morris lachte heiser. »Er würde mir helfen, ganz bestimmt. Und zwar würde er mir aus dieser Welt hinaus helfen. Ich bin Morris Wingates schlimmster Alptraum. Er ist der Mann, vor dem ich mich verstecke.«
»Das verstehe ich nicht.«
»General Wingate hat mich rekrutiert. Er hat mir persönlich einige meiner Befehle gegeben. Vanessa Kohler ist seine Tochter. Wenn das, was ich in Wingates Auftrag getan habe, öffentlich bekannt wird, wandert er ins Gefängnis. Verstehen Sie jetzt, warum ich nicht zulassen kann, dass mein Bild veröffentlicht wird? Sobald der General erfährt, dass ich noch lebe, lässt er mich umbringen. Er hat keine andere Wahl.«
Ami war perplex. Sie konnte nicht glauben, dass Vanessa Kohler Wingates Tochter war oder dass Morelli die Macht hatte, den General zu stürzen. Aber sie wusste ohnehin nicht, ob sie Morelli überhaupt ein einziges Wort glauben sollte. Alles, was er sagte, klang verrückt. Andererseits ...
»Ich glaube, Sie sollten mir alles von Anfang an erzählen«, sagte Ami.
»Was bringt das?« »Vielleicht bin ich nicht viel schlauer, wenn ich alles weiß. Andererseits finde ich dann möglicherweise einen Weg, wie ich Ihnen helfen kann. Das alles bleibt sowieso unter uns. Ich werde ohne Ihre Erlaubnis mit niemandem darüber sprechen.«
»Ich weiß nicht ...«
»Bitte, lassen Sie mich Ihnen helfen.«
»Einverstanden. Ich erzähle Ihnen von Wingate und meiner Einheit.«
»Warum fangen wir nicht einfach mit ihrem richtigen Namen an?«
11. KAPITEL
Kalifornien - 1969 und 1970
»Hast du einen Moment Zeit für mich, Carl?« Die Mathematikstunde war zu Ende, und Carl Rice packte gerade seine Bücher zusammen. Vanessa Wingates Stimme ließ ihn erstarren, als hätte Captain Kirk ihn mit seinem Phaser paralysiert. »Du bist doch ziemlich gut in Mathe, stimmt's?«
Carl drehte sich zu der attraktiven Blondine herum und kämpfte dagegen an, auf den Boden zu starren. Sein Versuch, gelassen mit den Schultern zu zucken, wirkte eher, als litte er an einem Krampf.
»Geht so.«
»Mr. Goody hat mich wieder mal abgehängt. Ich frage mich, ob du mir vielleicht helfen könntest. Das Zeug, das wir heute durchgenommen haben, kommt sicher bei der Abschlussarbeit, und ich habe keinen blassen Schimmer davon.«
»Okay. Ich habe jetzt noch Unterricht, aber ich bin um drei in der Bibliothek.«
»Großartig.« Vanessa schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. Sie verabredeten sich am Tresen der Rezeption, und Vanessa verschwand mit einem fröhlichen: »Bis dann!«
Die St. Martins Preparatory School lag auf einem großzügigen, ländlichen Campus ein paar Meilen vom Pazifischen Ozean entfernt. Die Schule war 1889 gegründet worden. Das Efeu auf den Gebäuden sah aus, als wäre es niemals beschnitten worden. Obwohl Carl Rice und
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