Die Schuld
Lobbyisten-Kanzleien, die sich in der Connecticut und Massachusetts Avenue drängten. Aber er hatte auch nichts mit Winkeladvokaten am Hut, die auf Bussen oder Plakaten Reklame für sich machten und mit albernen Fällen das Rechtssystem lahmten. In der einstigen Kanzlei seines Vaters hatten zehn Anwälte gearbeitet, die vor Gericht aggressiv und erfolgreich zur Sache gegangen und seinerzeit sehr gefragt waren.
»Und das ist auch meine Bestimmung«, murmelte Clay vor sich hin, während er auf den unter ihm fließenden Potomac blickte.
Nachdem er den unproduktivsten Vormittag seiner bisherigen Laufbahn überstanden hatte, verließ Clay um halb zwölf sein Büro. Auf der Fahrt zum Willard, dessen voller Name Willard Inter-Continental Hotel lautete, ließ er es langsam angehen. In der Eingangshalle wurde er von einem muskulösen jungen Mann begrüßt, der ihm vage bekannt vorkam. »Mr Pace wartet schon auf Sie«, sagte er. »Wenn es Ihnen recht ist, möchte er Sie oben empfangen.« Die beiden gingen auf die Aufzüge zu.
»Natürlich«, erwiderte Clay und fragte sich, weshalb er so schnell erkannt worden war. Während der Liftfahrt sprachen die beiden Männer kein Wort. Im neunten Stock klopfte Clays Begleiter an die Tür der Theodore-Roosevelt-Suite, die sich sofort öffnete. Max Pace begrüßte Clay mit einem geschäftsmäßigen Lächeln. Er war etwa Mitte vierzig, hatte sehr dunkles, welliges Haar und einen Schnurrbart. Auch seine Garderobe orientierte sich an der Haarfarbe: schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, spitze schwarze Stiefel. Es war, als hätte sich jemand aus Hollywood ins Willard verirrt. Diese Kleidung entsprach nicht ganz dem Businesslook, den Clay eigentlich erwartet hatte. Als die beiden sich die Hand gaben, ahnte Clay, dass hier nichts so war, wie es auf den ersten Blick schien.
Der Bodyguard wurde mit einem unauffälligen Blick weggeschickt.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte Pace, während sie ein oval geschnittenes Zimmer betraten, in dem jede Menge Marmor verbaut worden war.
»Keine Ursache.« Clay studierte die weitläufige, mit viel Leder und exquisiten Stoffen ausgestattete Suite. »Ein hübscher Ort.«
»Ich werde noch für ein paar Tage hier wohnen. Lassen Sie uns den Zimmerservice informieren und oben essen. Dann können wir uns ungestört unterhalten.«
»Soll mir recht sein.« Clay schossen ein paar Fragen durch den Kopf. Die ersten von vielen. Warum mietete ein Headhunter aus Washington eine sündhaft teure Hotelsuite? Warum hatte er nicht irgendwo in der Nähe ein Büro? Brauchte er wirklich einen Bodyguard?
»Haben Sie irgendwelche Wünsche?«
»Ich bin mit allem einverstanden.«
»Gestern habe ich Capellini mit Lachssauce gegessen. Hat großartig geschmeckt.«
»Dann probiere ich die.« Da Clay halb verhungert war, hätte er im Augenblick alles gegessen.
Während Max Pace den Zimmerservice anrief, bewunderte Clay die Aussicht auf die Pennsylvania Avenue. Als das Essen bestellt war, nahmen sie in der Nähe des Fensters Platz. Der einleitende Smalltalk wurde schnell erledigt: das Wetter, die jüngste Niederlagenserie der Orioles und die miserable Verfassung der Wirtschaft. Pace beherrschte die Kunst der ungezwungenen Konversation und schien über jedes Thema nur so lange zu reden, wie es seinen Gast interessierte. Er stemmte Gewichte und nahm das so ernst, dass er es andere wissen lassen wollte. Sein enges T-Shirt klebte förmlich an seinem Brustkasten und seinen muskulösen Armen. Häufig und gern zupfte er an seinem Schnurrbart, wobei sich sein Bizeps wölbte.
Vielleicht hätte man Pace für einen Stuntman halten können, aber bestimmt nicht für einen Headhunter der obersten Kategorie.
Nach zehn Minuten machte Clay dem oberflächlichen Geplauder ein Ende. »Warum erzählen Sie mir nicht ein bisschen was über die beiden Kanzleien, die Sie erwähnten?«
»Weil es sie nicht gibt«, antwortete Pace. »Ich gebe zu, ich habe Sie angelogen, verspreche aber, dass Sie ab jetzt nur noch die Wahrheit hören werden.«
»Sie sind gar kein Headhunter?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Feuerwehrmann.«
»Danke, sehr erhellend.«
»Lassen Sie's mich erklären. Ich habe einiges zu sagen und bin sicher, dass es Ihnen gefallen wird.«
»Dann sollten Sie sich beeilen, Mr Pace. Sonst bin ich nämlich ganz schnell wieder weg.«
»Entspannen Sie sich, Mr Carter. Darf ich Sie Clay nennen?«
»Noch nicht.«
»Wie Sie wünschen. Ich bin eine Art freiberuflicher Bevollmächtigter mit
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