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Die Schuld

Titel: Die Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Unternehmen und seine Versicherer hätten genügend Rücklagen, um die Verfahren tragen zu können. Man müsse nur losziehen und diese Fälle ausfindig machen. Dieser Satz riss die Zuhörer beinahe von den Sitzen.
    Clay hatte nicht das Bedürfnis, in die Begeisterung mit einzustimmen. Er konnte es nicht fassen, dass dieser kleingewachsene, dickliche, aufgeblasene Blödmann mit dem Mikrofon letztes Jahr dreihundert Millionen eingenommen hatte und trotzdem darauf versessen war, noch mehr zu verdienen. Jetzt sprach man über die vielfältigen Möglichkeiten, neue Mandanten zu gewinnen. Einer der Diskussionsteilnehmer hatte so viel Geld verdient, dass er zwei Mediziner engagieren konnte, die nichts anderes taten, als von Stadt zu Stadt zu reisen und Patienten zu untersuchen, die Skinny Ben genommen hatten. Ein anderer verließ sich ausschließlich auf Fernsehspots, ein Thema, das Clay kurzfristig spannend fand. Leider flachte die Diskussion bald zu einer traurigen Debatte darüber ab, ob der Anwalt selbst auf dem Bildschirm erscheinen oder lieber einen arbeitslosen Schauspieler engagieren sollte.
    Zu Clays Erstaunen wurde kein einziges Wort über Prozessstrategie verloren, also den Umgang mit sachverständigen Zeugen, die unerwartet alles auffliegen ließen, die Auswahl der Geschworenen, medizinisches Beweismaterial kurzum die üblichen Themen, über die Anwälte sonst bei solchen Veranstaltungen redeten. Er erfuhr, dass die Fälle, um die es ging, selten überhaupt vor Gericht kamen. Fähigkeiten, die man im Gerichtssaal brauchte, waren also nicht gefragt. Es ging nur darum, wie man an Fälle herankam. Und Riesenhonorare einstrich. Mehrmals im Verlauf der Diskussion wurde deutlich, dass die vier Teilnehmer der Runde ebenso wie einige Zuhörer, die sich durch ihre Zwischenfragen verrieten, mit ihren letzten Vergleichen Millionen gemacht hatten. Clay hätte am liebsten ein zweites Mal geduscht. Um elf Uhr fand am Stand des örtlichen Porsche-Händlers ein gut besuchter Bloody-Mary-Empfang statt. Es gab Austern, natürlich Bloody Mary und endloses Geplauder darüber, wie viele Fälle jeder hatte. Und wie man noch mehr bekam. Mal tausend hier, mal zweitausend dort. Die bevorzugte Taktik bestand anscheinend darin, dass man so viele Fälle wie möglich auftrieb und sich dann an Patton French hängte. Der verleibte sie mit Freuden seiner eigenen Sammelklage auf heimischem Boden in Mississippi ein, wo Richter, Geschworene und Urteile stets in seinem Sinne wären und Hersteller sich vor lauter Angst kaum blicken ließen. French bearbeitete die Menge wie ein Wahlkampfredner.
    Um ein Uhr sprach er erneut, nach einem Mittagsbüffet mit regionalen Cajun-Spezialitäten und Dixie-Bier. Seine Wangen waren gerötet, seine Zunge gelockert. Ohne jegliche Aufzeichnungen präsentierte er eine kurze Geschichte der Schadenersatzklage in den Vereinigten Staaten und betonte, wie wichtig diese sei, um das Volk vor der Gier und Korruptheit der großen Konzerne zu schützen, die gefährliche Produkte herstellten. Bei der Gelegenheit stellte er gleich klar, dass er auch Versicherungsunternehmen, Banken, multinationale Konzerne und Republikaner nicht mochte. Der ungezügelte Kapitalismus mache es notwendig, dass es Menschen wie die unerschrockenen Seelen des Juristenzirkels gebe, die im Namen der hart arbeitenden Bevölkerung, des einfachen Volkes, in die Schlacht zogen und sich nicht scheuten, die großen Bosse anzugreifen. Die dreihundert Millionen Dollar Honorar im Jahr machten es schwer, sich Patton French als Robin Hood vorzustellen. Aber er hatte das Publikum im Griff. Clay blickte sich um und fragte sich zum wiederholten Male, ob er der Einzige war, der nicht den Verstand verloren hatte. Waren diese Leute vom Geld so verblendet, dass sie sich ernsthaft für die Rächer der Armen und Kranken hielten? Die meisten von ihnen besaßen Privatjets! French gab ein Bravourstück nach dem anderen zum Besten. Vierhundert Millionen Dollar Entschädigung für ein Cholesterin-Medikament mit sehr starken Nebenwirkungen. Eine Milliarde für ein Diabetes-Medikament, das mindestens hundert Patienten das Leben gekostet hatte. Hundertfünfzig Millionen für fehlerhaft verlegte elektrische Leitungen in zweihunderttausend Wohnungen, die zusammen fünfzehnhundert Brände verursacht hatten, bei denen siebzehn Personen getötet und weitere vierzig schwer verletzt worden waren. Die Anwälte hingen an seinen Lippen. Er wurde auch nicht müde, immer wieder

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