Die Schuldlosen (German Edition)
ihre Schwägerin übernommen.»
Alex nahm an, das Schnuckelchen ließe ihn zappeln, um festzustellen, ob er wirklich keine Ahnung hatte. Aber mit dem ersten Satz hatte sie einen massiven Anstoß gegeben. Es wurde Zeit, eine klare Ansage zu verlangen: «Warum sagen Sie nicht endlich, weshalb Sie hier sind? Ist Heike gestern Abend etwas zugestoßen?»
«Sie haben es erfasst», sagte Dina Brelach.
«Und Gerhild meint mal wieder, ich wäre dafür verantwortlich? Darf ich erfahren, was passiert ist?»
«Nach der Obduktion wissen wir das genau», sagte Dina Brelach. «Vorerst müsste ich spekulieren, das widerstrebt mir.»
«Verstehe …», murmelte Alex so aufrichtig betroffen, dass Bernd Leunen sich seiner widersprüchlichen Gefühle schämte und sich endlich der Tatsache bewusstwurde, dass die Beschreibung, die Frau Zumhöfer vom attraktiven Dunkelhaarigen geboten hatte, auch auf Lothar zutraf. Vermutlich noch auf drei Dutzend andere Männer in dem Alter, ihn selbst nicht vollkommen ausgeschlossen, wobei sein Haar nicht mehr gar so dicht wuchs.
Nur hätte von all den anderen keiner einen Grund gehabt, sich lautstark mit Heike Jentsch über eine Hose und ein Paar Schuhe zu unterhalten. Lothars Grund war Bernd Leunen allerdings ebenso schleierhaft, weil er nur die offizielle Version kannte, nach der Lothar heimgegangen war und erst am nächsten Tag von dem Leichenfund in der Greve gehört hatte.
Als sie wieder im Streifenwagen saßen, erzählte Bernd Leunen der jungen Hauptkommissarin doch noch von dem Abend in der Linde , von Janice Hecklers widerlichem Auftritt und ihrem Ruf im Dorf. Er hielt sogar kurz an und zeigte ihr die Stelle, an der die Leiche im Wasser gelegen hatte.
Bei der Weiterfahrt schilderte er die Szene, die seine Frau ihm damals gemacht hatte, weil Janice ihm einen verheißungsvollen Blick und eine Kusshand zugeworfen hatte. Dabei hatte er für dieses Mädchen genau wie Lothar Steffens nur Ekel empfunden.
Natürlich verschwieg er auch die verschwundenen Kleidungsstücke nicht. Er sah da Parallelen: damals eine schwarze Satinhose und ein Paar High Heels, jetzt ein Schlafanzug.
«Ob ein Schlafanzug verschwunden ist, wissen wir doch noch gar nicht», bremste Dina Brelach. «Vielleicht wollte Heike Jentsch einen frischen anziehen, wozu sie nicht mehr gekommen ist. Dann steckte der, den sie vorher anhatte, vermutlich zusammen mit anderen Sachen in der Waschmaschine. Der Erkennungsdienst hat die Trommel ausgeräumt und alles mitgenommen.»
Die verschwundene Hose und die Schuhe von Janice Heckler fand sie auch nur halb so interessant, wie Bernd Leunen angenommen hatte. Bei der Nähe zum Elternhaus des Täters hätten die Kollegen sich damals die langwierige Suche ersparen können, meinte Dina Brelach, bewies damit ihre Kompetenz und hakte das Thema anschließend ab.
Um drei Uhr machte Lothar Steffens Feierabend und fuhr mit der S-Bahn nach Grevingen, um seine am frühen Morgen telefonisch geäußerten Anschuldigungen ordnungsgemäß zu Protokoll zu geben und anschließend seine Frau im Krankenhaus zu besuchen. Als er die Unterführung verließ, sah er einen der Bäckerei-Kombis auf Heikes Stammparkplatz hinter dem Blockhaus stehen und ging nach vorne, um zu kondolieren.
Vor der Eingangstür mühte Gerhild sich ab, mit Tesafilm eine Klarsichthülle mit einem Blatt Papier darin aufs Glas zu kleben. Ihr Ältester hatte am Computer die Botschaft «Wegen Todesfall geschlossen» erstellt und mit einer schwarzen Ranke umkränzt. Es sah richtig professionell aus. Aber Gerhild schaffte es nicht, die Hülle anzukleben. Es war windig, und sie hatte doch nur zwei Hände, die nicht gleichzeitig die Hülle andrücken, den Abroller halten und einen Streifen Tesafilm abziehen konnten.
«Das müssen Sie innen anbringen, Frau Jentsch», riet Lothar. «Hier draußen wird es nicht lange hängen. Wenn der Wind es nicht abreißt, dann tun das irgendwelche Jugendlichen. Die haben doch vor nichts mehr Respekt.»
«Ich kann nicht rein», stammelte Gerhild. «Ich hab keinen Schlüssel. Es müsste einer in Heikes Wohnung sein, wahrscheinlich im Rucksack. Der zweite liegt vielleicht im Wohnzimmer, oder die Aushilfe hat den noch. Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, wo die Irmgard wohnt. Ich dachte, die Polizei kann mir den Schlüssel aus dem Rucksack geben. Ich sollte ja sowieso zur Wache kommen, eine Aussage machen, meine Fingerabdrücke und meine Sachen abgeben. Da dachte ich, ich erledige das in einem Aufwasch.
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