Die Schuldlosen (German Edition)
mehrfach geklingelt. Heike wollte nicht mit ihm reden. Einmal bin ich an die Gegensprechanlage gegangen und habe ihn aufgefordert, doch endlich vernünftig zu sein und nach Hause zu fahren. Frag mich nicht, wann er aufgegeben hat.»
«Wie lange bist du bei ihr geblieben?», fragte Bernd Leunen.
«Bis kurz vor neun. Da wollte sie ins Bett.»
«Warst du letzte Woche Dienstag auch bei ihr?»
«Ja», sagte Lothar, ohne zu zögern. «Da rief sie mich mittags im Büro an. Silvie hatte bei ihr ein gutes Wort für Alex einlegen wollen und sich im Ton vergriffen. Silvie ist immer noch der Überzeugung, Alex sei unschuldig. So besoffen, wie er damals war, hätte er gar nicht darüber nachdenken können, eventuelle Beweismittel verschwinden zu lassen, meint sie. Dass Hose und Schuhe von Janice nie gefunden wurden, könnte nur bedeuten, es müsse ein oder eine andere gewesen sein. Du kannst dir sicher denken, auf wen sie abzielte. Seine Anwältin hat ja ins selbe Horn gestoßen. Heike war ziemlich aufgebracht, und im Kaffeebüdchen konnte man nicht in Ruhe reden. Also bin ich abends zu ihr gefahren, und anschließend habe ich meiner Frau den Kopf zurechtgesetzt. Es muss doch irgendwann mal ein Ende haben mit dieser alten Geschichte.»
Bernd Leunen nickte zustimmend, obwohl er sich gewisse Hoffnungen gemacht hatte. Die begrub er nun und versuchte stattdessen, dem biederen Handwerker auf die Spur zu kommen. «Hattet ihr viel Kontakt?»
«Eigentlich nicht», sagte Lothar. «Ich hab mir morgens manchmal einen Kaffee und ein Brötchen bei Heike geholt. Wenn sich die Gelegenheit ergab, haben wir ein paar Worte gewechselt.»
«Weißt du was über andere Kontakte? Bekannte, Freunde, sie hatte doch bestimmt einen Freund.»
Lothar zuckte mit den Achseln. «Das fragst du besser ihre Mutter oder ihre Schwägerin. Mit mir hat sie nicht über andere Männer gesprochen. Es ging immer nur um Alex. Sie wusste, dass Silvie ihm in der ersten Zeit regelmäßig geschrieben hatte, ohne je eine Antwort zu bekommen. Hin und wieder fragte sie, ob er sich inzwischen mal gemeldet hätte. Ich glaube, sie hatte Angst vor dem Tag, an dem er rauskommt, auch wenn sie das nicht offen aussprach. Als er Anfang des Monats überraschend bei uns auftauchte, habe ich sie sofort angerufen. Danach hat sie sich öfter bei mir gemeldet.»
Um Viertel vor fünf war alles zu Protokoll genommen und unterschrieben. Lothar hatte es plötzlich eilig, wollte doch noch zu Silvie.
Im Krankenhaus wurde auf den Fluren schon das Abendessen wie ein kleines Buffet aufgebaut, es sah appetitlich aus. Patienten, die aufstehen konnten, durften sich selbst bedienen. Den anderen wurde später etwas gebracht.
Silvie saß im Bett und hatte keinen Hunger. Dabei war ihre Magen-Darm-Infektion nach Ansicht des behandelnden Arztes weitgehend auskuriert. Die Entlassung war ihr noch vor dem Wochenende in Aussicht gestellt worden. Wahrscheinlich am Samstag, hatte der Arzt bei der morgendlichen Visite gesagt. Als sie hörte, was geschehen war und wo Lothar gerade herkam, wollte sie sofort nach Hause.
«Jetzt sei vernünftig», mahnte er. «Noch ein Tag Ruhe und Erholung tut dir bestimmt gut. Du siehst immer noch aus wie eine Leiche. Was willst du als Nächstes bekommen, eine Fehlgeburt? Du schadest nur dir und dem Baby, wenn du dich nicht richtig auskurierst. Es ist doch alles bestens geregelt. David ist gut untergebracht, bisher hat meine Mutter noch nicht einmal gejammert, dass es ihr zu viel wird. Deinem Opa geht es auch wieder besser. Ich werde deine Oma gleich bitten, dass sie dich morgen besucht. Dann wird dir der Tag nicht so lang.»
«Und was ist mit Alex?», fragte sie.
«Weiß ich nicht», sagte Lothar. «Was soll mit ihm sein? Legst du Wert darauf, auch von ihm besucht zu werden?»
«Du weißt genau, was ich meine», sagte Silvie. «Wurde er festgenommen?»
«Keine Ahnung», sagte Lothar. «Ich mochte Bernd Leunen nicht danach fragen. Aber ich schätze, so schnell geht das nicht. Zuerst müssen sie mal Spuren auswerten. Wenn Alex welche hinterlassen hat, was ich ehrlich gesagt nicht glaube. Damals haben sie ja auch nichts gefunden.»
«Glaubst du, er war’s?», fragte Silvie mit einem Stimmchen, das so klein und zittrig war wie noch nie vorher in all den Jahren, die er sie kannte.
«Wer soll es denn sonst gewesen sein?», antwortete Lothar mit einer Gegenfrage.
22.–27. Oktober 2010
Für das in Köln zusammengestellte Ermittlerteam unter Leitung von Dina Brelach wurde
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