Die Schuldlosen (German Edition)
Blut, auch im Schlafzimmer keine noch so schwache Schliere, in der Küche ebenso wenig. Blieb die kleine Diele mit der halbrunden Holzplatte zwischen den Zimmertüren. Und dort leuchtete auf dem PVC-Boden nahe der Wohnzimmertür ein großer Fleck. Auf dem Wandstück über der Holzplatte fluoreszierten zudem winzige Spritzer. Abspritzer genau genommen, die von einem mit Blut besudelten Schlagwerkzeug gegen die Raufasertapete geschleudert worden waren, als der Täter zum nächsten Schlag ausgeholt hatte.
Die relativ niedrige Höhe dieser Spritzer auf der Wand deutete darauf hin, dass der Täter neben Heike Jentsch auf dem Fußboden gekniet hatte. Mit dem ersten Schlag hatte er die Frau betäubt und ihr eine stark blutende Platzwunde zugefügt. Mit dem zweiten gab er ihr den Rest.
Nachdem das Licht wieder eingeschaltet worden war, wunderte Dina Brelach sich, wie makellos die Wand, mit bloßem Auge betrachtet, wirkte. «Wenn unsereins an einer Wand herumwischt, bleiben immer Flecken, zumindest Kränze», sagte sie.
«Es gibt Radiergummis für Wände», erklärte ihr Begleiter. «Die holen eine Menge runter, ohne dass es auffällt.»
«Meine Mutter wird sich freuen, das zu hören», sagte Dina Brelach. «Und der Staatsanwalt wohl auch. Auf Totschlag im Affekt kann unser Täter sich nicht herausreden, wenn er außer einem Hammer so ein Radiergummi mitbrachte. Der hat eingeplant, hier anschließend sauber machen zu müssen.»
«Na, ich weiß nicht», meinte der Erkennungsdienstler skeptisch. «Vermutlich hat er das passende Putzmittel hier gefunden. An die Wände denkt keiner im Voraus.»
Das Putzzeug aus dem Schrank unter der Küchenspüle musste nun ebenfalls sichergestellt werden. Und tatsächlich befand sich dabei eine Zweierpackung mit nur noch einem dieser schwammartigen Wundermittel.
Silvie erging es an dem Freitag so ähnlich wie Bernd Leunen tags zuvor. Seit Lothar sich donnerstags von ihr verabschiedet hatte, fühlte sie sich auf unbegreifliche Art mitschuldig an Heikes Tod, konnte keinen klaren Gedanken fassen und die unklaren nicht zu Ende denken.
Wenn nicht Alex, wer dann?
Ihre Großmutter wusste das auch nicht.
Franziska kam kurz nach zwei, weil sie mit dem Bus um vier wieder zurückfahren wollte. Und eigentlich wollte sie gar nicht über Alex und Heike reden, um ihr Kind nicht unnötig aufzuregen. Lothar hatte seiner Mutter die Schläge verschwiegen, die Silvie dienstags bei Heikes Kaffeebüdchen eingesteckt hatte. Stattdessen hatte er behauptet – und seine Mutter hatte das natürlich sofort Franziska weitererzählt –, die Aufregung hätte Silvie anfällig für eine neue Infektion gemacht.
Aber dann sprach Franziska über nichts anderes. Über Marthas Tränen, Gerhilds Fassungslosigkeit, die Sprachlosigkeit der beiden Männer und Saskias Reaktion auf den Tod ihrer Mutter.
Franziska war noch bei ihrer jüngsten Schwester gewesen, als das Kind aus der Schule gekommen war. Und sie hatte den Eindruck gewonnen, die Kleine sei erleichtert. Saskia hatte doch tatsächlich gefragt, ob sie denn jetzt wieder nachmittags ihren Papa besuchen und bald bei ihm wohnen dürfe. Gerhild hatte sie zurechtgewiesen und erklärt, ihren Papa könne sie vergessen, der käme jetzt ins Gefängnis. Erst daraufhin war Saskia in Tränen ausgebrochen.
«Für ihre Mutter hatte sie keine Spur von Bedauern», berichtete Franziska. «Und als es um Alex ging, wollte sie sich gar nicht mehr beruhigen, jammerte und schluchzte, ihr Papa sei kein böser Mensch, nur ein Notlügner.»
Für Silvie war das ein Ansatz, der zum ersten klaren Gedanken führte. Ein Lügner aus Not. Der kein Justizirrtum sein wollte. Der ihr erzählte, sein Vater hätte die Satinhose und die High Heels von Janice in der Heizung verbrannt. Vielleicht nur ein hilfloser, aber wirksamer Versuch, sie auf Distanz zu halten?
Natürlich berichtete Franziska auch vom Besuch der Polizei. Bernd Leunen, der Junge aus dem Dorf, dessen Mutter seit Jahr und Tag ihr Brot in der Bäckerei Jentsch kaufte. Ihm war das so unangenehm gewesen, dass er die Zähne kaum auseinanderbekommen und das Reden der jungen Frau aus Köln überlassen hatte.
«Die hat Gerhild nach Heikes Freunden gefragt und zwei beschrieben», erzählte Franziska. «Einen jungen, hübschen, das wird Alex gewesen sein. Und einen untersetzten Mann Mitte vierzig. Ich hab nichts gesagt. Aber ich glaube, ich weiß, wen die meinte.»
Sie atmete tief durch und betrachtete ihre Enkelin, als warte sie auf eine
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