Die Schuldlosen (German Edition)
fern. Klar doch. Lothars Wege würde er freiwillig auch so schnell nicht wieder kreuzen. Silvie hätte ihn besser darauf einschwören sollen, sich von Saskia fernzuhalten.
Er hatte gestern früh mit den Dummheiten begonnen, heute Morgen weitergemacht. Und in ein paar Stunden würde er die größte Dummheit begehen, die er überhaupt machen konnte. Er wusste das genau. Nur änderte das Wissen nichts. Es gab eben Dinge, die konnte man gar nicht lassen, so fest man sich das auch vorgenommen hatte.
Wenn Saskia kam!
Wenn sie sich nun daheim verplapperte? Sie war doch erst sieben. Was sollte sie denn sagen, wenn ihre Tante anbot, sie zur Freundin zu fahren? Genauso gut konnte Gerhild einen der Männer mit dieser Tour beauftragen. Nachmittags hatten Wolfgang und der alte Jentsch doch in der Backstube nichts mehr zu tun. Vielleicht stellte auch Martha Fragen, auf die Saskia besser nicht antworten sollte. Dann erwartete ihn auf dem Friedhof womöglich ein Schlägertrupp.
Wenn er überhaupt so weit kam. Zuerst musste er doch wieder zu Fuß am Heckler-Haus vorbei. Der Bruder von Janice wohnte noch da mit Frau und Tochter, hatte er von Silvie erfahren. Wenn Dennis Heckler übers Wochenende nur mitbekommen haben sollte, dass die Villa Schopf wieder bewohnt war, inzwischen dürfte dank Lothars Besuchen im Kaffeebüdchen auch allgemein bekannt sein, wer sich dort einquartiert hatte.
Er war vollkommen sicher, dass Heike gleich gestern früh zum Telefon gegriffen und ihre Familie informiert hatte. Und jeder, der seitdem in der Bäckerei eingekauft hatte, war vermutlich begrüßt worden mit der Frage: «Wissen Sie schon, wer wieder hier ist?»
Komisch, dass sie Saskia nicht vor ihm gewarnt hatten. Kein Mensch schien damit gerechnet zu haben, dass er sich für das Kind interessieren könnte. Nicht einmal Silvie. Sonst hätte sie die Kleine garantiert in ihre Hoffnung bezüglich der Dummheiten einbezogen. Und ihr Wort hätte besonderes Gewicht gehabt, vielleicht wie ein Bremsklotz gewirkt, weil Silvie für ihn etwas Besonderes war. Die Tochter des Generals eben, ein Berg Verantwortung, den er mit zwanzig nicht hatte besteigen können.
Es war auf Silvie zurückzuführen, dass sich seine vorzeitige Haftentlassung an diesem Dienstag endlich in Garsdorf herumsprach. Während er im Autohaus Wellinger eine Enttäuschung geschluckt und anschließend Einkäufe gemacht hatte, saß Silvies Schwiegermutter im Wartezimmer des Dorfarztes.
Dort saß Frau Steffens häufig wegen ihres Herzens, der Arthrose in beiden Knien und all den anderen Beschwerden, die sie sich nach dem frühen Tod ihres Mannes zugelegt hatte, damit nur ja keiner auf die Idee verfiel, sie mit einem nervigen Baby von ihrem Verlust ablenken zu wollen.
In den ausliegenden Illustrierten blätterte sie nie. Die meisten las sie zu Hause, hatte selbst eine Lesemappe abonniert und war immer bestens informiert über alles, was die Welt bewegte. Im Wartezimmer der Arztpraxis unterhielt Frau Steffens sich lieber mit ebenfalls wartenden Patienten. Und diesmal ausnahmsweise nicht über Glück und Leid der High Society, diverse Krankheitssymptome oder die Todesfälle der letzten Zeit.
Sie posaunte stattdessen heraus, dass Janice Hecklers Mörder wieder auf freiem Fuß sei. Anschließend warf sie die Frage auf, wie Heike Jentsch wohl zumute sein mochte, wenn sie das erfuhr. «Die arme Frau bekommt sicher Zustände. Und ich finde, man müsste sie eigentlich warnen.»
Als Silvie kurz vor elf ihre Großmutter anrief, wusste Franziska schon Bescheid, hatte es wenige Minuten zuvor von Frau Steffens erfahren, regte sich aber nicht besonders darüber auf, dass Silvie es ihr gestern verschwiegen hatte. Franziska war in viel zu großer Sorge um Gottfried.
«Opa hat sich in der Nacht zweimal übergeben und heute Morgen zum dritten Mal, dabei hatte er nur ein Schlückchen Tee im Leib. Er hat fürchterliche Bauchschmerzen, das seh ich ihm an. Aber er will’s nicht zugeben.»
Mit der am vergangenen Abend von ihrer Schwiegermutter gestellten Diagnose Magenkrebs im Hinterkopf bat Silvie: «Lass mich mal mit ihm reden.»
«Das geht nicht, er liegt im Bett», erklärte Franziska wie gestern, um sich gleich darauf zu korrigieren. «Nein, warte mal eben. Ich glaub, er schleicht schon wieder ins Bad. – Gottfried? Was machst du da oben? Wo gehst du hin? Gottfried? Warum antwortest du nicht? – Ich muss rauf, Silvie. Ich muss sehen, was er da macht. – David, komm, wir müssen zum
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