Die Schuldlosen (German Edition)
Bis zur Lambertusstraße schon, das ging ja nur geradeaus. Aber dann … Er war im Dorf so oft abgebogen, von einem Gässchen ins andere.
«Musst du denn nicht arbeiten?», fragte sie.
«Nein.»
«Aber dann verdienst du doch kein Geld.»
«Muss ich auch nicht.»
«Bist du reich?»
«Wie man’s nimmt», sagte er. «Ich hab genug zum Leben. Genug für uns beide. Du kannst ja mal darüber nachdenken, wo es für dich schöner wäre. Tust du das?»
Saskia nickte zögernd. Er schloss endlich die Eingangstür auf, schob sie vor sich her in die dämmrige Halle, drückte die Tür hinter sich zu und fragte erwartungsvoll: «Gefällt es dir?»
Ganz und gar nicht. Ihre Blicke flatterten durch die Halle wie verschreckte Vögelchen, huschten über Zimmertüren aus dunklem Holz, das schwarzweiße Schachbrett der Bodenfliesen, von denen einige deutlich sichtbare Sprünge aufwiesen, zur Treppe mit ihren gedrechselten Holzstäben und dem Geländer, das unten in einer wurmstichigen Schnecke endete.
«Das sieht aus wie bei Hui Buh», meinte sie nach dieser Begutachtung.
«Dachte ich mir, dass es dir gefällt», interpretierte er ihre Worte falsch. «Und ich finde es toll, dass du keine Angst vor Gespenstern hast.»
«Gibt es denn hier welche?» Jetzt war das Unbehagen in ihrem Stimmchen nicht mehr zu überhören.
Trotzdem sagte er noch: «Klar. In alten Häusern gibt es immer welche. Solange es hell ist, verstecken sie sich auf dem Dachboden. Da kommen sie nur herunter, wenn ich sie rufe. Soll ich?»
Saskia schüttelte eilig den Kopf. Und er hätte sich ohrfeigen mögen. Welcher Teufel hatte ihn denn da wieder geritten? Ihr Angst zu machen war wirklich nicht Sinn der Sache.
Eingeschüchtert von der düsteren Atmosphäre in der Halle und dem, was sich möglicherweise auf dem Dachboden tummelte, folgte sie ihm in die Küche. Sehr viel heller und freundlicher war es dort auch nicht. Er schaltete das Deckenlicht ein, um die Trostlosigkeit der alten Einrichtung ein wenig abzumildern. Dann schob er noch einen der Stühle vom großen Tisch zur Heizung hinüber, wo seine ruinierte Lederjacke hing.
«Zieh den Mantel und die Stiefel aus und setz dich hierhin», sagte er. «Ich seh mal schnell nach der Heizung.»
Sie machte keine Anstalten, seinem Vorschlag zu folgen. Als er sich zur Tür wandte, bat sie: «Geh nicht weg.»
«Ich muss nur Briketts nachlegen. Sonst geht die Heizung aus.»
«Das macht nichts», erklärte sie hastig. «Mir ist nicht kalt.»
So rächten sich die Gespenster auf dem Dachboden. Sie würde ihm kaum glauben, wenn er die blödsinnige Behauptung jetzt zurücknahm.
«Hey», probierte er auf andere Weise, sie zu beruhigen. Er ging vor ihr in die Hocke und bemühte sich um den Blick, mit dem er in der Grundschule die gute Frau Sattler eingewickelt hatte. «Sie kommen wirklich nur herunter, wenn ich sie rufe. Das würde ich niemals tun, solange jemand hier ist, der sich vor Gespenstern fürchtet. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dir gar nichts von ihnen erzählt. Ich dachte, wo du Hui Buh magst, magst du die hier sicher auch. Sie sind nett und lustig und völlig harmlos, ehrlich. Sie haben mehr Angst vor dir als du vor ihnen, glaub mir. Deshalb verstecken sie sich ja. Auch nachts laufen sie nicht einfach durchs Haus. Sie gucken immer zuerst, ob keiner da ist, der sich erschrecken und sie verjagen könnte.»
Völlig überzeugt schien sie davon noch nicht.
«Na schön», sagte er, «gehen wir eben zusammen in den Keller. Deine Sachen kannst du danach ausziehen. Alles, was nass ist, hängen wir im Fernsehzimmer über die Heizung …»
Damit gerieten die Gespenster in den Hintergrund. «Du hast ein Zimmer nur für deinen Fernseher?» So etwas hatte Saskia noch nie gehört.
«Nicht nur dafür», sagte er. «Da sind auch viele Bücher drin und ein gemütliches Sofa. Und auf dem Tisch stehen lauter leckere Sachen für dich. Nur das Eis ist noch im Gefrierfach. Ich hab doch extra eingekauft, damit ich dir etwas anbieten kann. Die Fotoalben liegen auch schon da. Willst du mal sehen?»
Sie nickte, folgte ihm in das Zimmer und protestierte nicht mehr, als er sich erneut der Kellertreppe zuwandte und aus ihrem Blickfeld verschwand, um einen Eimer mit Briketts zu füllen und den gefräßigen Ofen zu füttern. Nachdem das erledigt war, nahm er in der Waschküche eine Jeans und ein Sweatshirt von der Leine und tauschte schnell seine nasse gegen trockene Kleidung. Die alten Sachen passten tatsächlich noch,
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