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Die Schule der Nacht

Die Schule der Nacht

Titel: Die Schule der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Mia
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auch für ihn das erste Weihnachtsfest ohne seine Familie sein. Hatte eine Tochter außerdem nicht alles Recht der Welt, am Tag der Beerdigung ihres Vaters so oft und so viel zu weinen, wie sie wollte? Plötzlich bekam sie ein schlechtes Gewissen. Sie hätte nicht einfach so von zu Hause weglaufen dürfen, ihre Mutter würde sich Sorgen machen. Falls sie nicht schon zu betrunken dazu ist, dachte sie mit einem freudlosen Lächeln. Es tat ihr auch leid, dass sie Fiona, die ihretwegen die lange Reise aus Edinburgh auf sich genommen hatte, einfach so zurückgelassen hatte, aber sie war sich sicher, dass Caro sich um sie kümmern würde. Sie hoffte bloß, dass Davina ihre Krallen nicht zu sehr nach ihren Freundinnen ausstrecken würde, während sie weg war.
    Hektisch durchsuchte sie ihre Manteltaschen. Gott sei Dank! Sie hatte ihr Handy eingesteckt. Schnell schrieb sie Fiona eine SMS .
    Sorry, muss mal einen Moment für mich allein sein. Denkst du dir eine Entschuldigung für meine Mum aus? Melde mich später. Kuss
    Tatsächlich ging es ihr hier in diesem Bus, fernab der Trauerfeier und den ganzen fremden Leuten, die ihr – so gut sie es auch meinten – murmelnd ihr Beileid ausgesprochen hatten, deutlich besser. Alles hatte so unecht und aufgesetzt gewirkt, dass sie das Gefühl gehabt hatte zu ersticken. Und sie war erleichtert, Gabriel entkommen zu sein. Sie war sich ganz sicher, dass ein schuldbewusster Ausdruck über sein Gesicht gehuscht war, als sie ihn gefragt hatte, wer ihren Vater umgebracht hatte. Selbst wenn er nicht der Mörder gewesen war – wieso hatte er nicht heftiger widersprochen oder ein handfestes Alibi für den Zeitpunkt der Morde vorgewiesen? Irgendetwas hielt er vor ihr zurück, daran hegte sie nicht den geringsten Zweifel. Und damit war er nicht der Einzige. Ihre Mutter, ihr Großvater und vielleicht sogar ihr Vater – wenn das, was ihre Mutter in der Küche gesagt hatte, stimmte –, jeder von ihnen hatte ihr etwas verschwiegen. Warum glaubten alle, dass sie mit der Wahrheit nicht umgehen könnte? Sie war kein kleines Kind mehr. Die Erwachsenen hielten ihr Vorträge über Sex und Drogen, trauten ihr aber gleichzeitig nicht zu, mit den Auswüchsen ihrer verkorksten Leben fertigwerden zu können. April fasste einen Entschluss. Sie würde Inspector Reece anrufen und ihm erzählen, was sie in jener Nacht auf dem Friedhof gesehen hatte, und zwar alles. Sie scrollte durch das Adressbuch ihres Handys, bis sie seinen Namen gefunden hatte, und drückte auf »Anrufen«. Verbindung wird hergestellt…
    Im letzten Moment drückte sie auf die »Abbrechen«-Taste. Was genau sollte sie ihm sagen? »Hallo, Inspector Reece? Also, ich hab Ihnen zwar bei zwei Gelegenheiten erzählt, ich hätte an dem Abend auf dem Friedhof niemanden gesehen, aber… na ja, die Sache ist die – der Mörder ist sozusagen mein Freund…«
    Trotz des Ernsts der Lage musste April kurz lächeln, als sie sich die Reaktion des Polizeibeamten vorstellte – Und warum erzählen Sie mir das erst jetzt? – Ähm, na ja, weil ich mich gerade auf dem Platz vor unserem Haus lautstark mit ihm gestritten habe? Klingt das überzeugend genug?
    April musste zugeben, dass das nicht sehr glaubhaft klingen würde, und wie Fiona schon ganz richtig gesagt hatte, wusste sie nicht mit Sicherheit, ob Gabriel etwas damit zu tun hatte. Trotzdem sagte ihr Gefühl ihr, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Morde, das, was in der Schule vor sich ging, die Art, wie sich die Menschen um sie herum verhielten – es war einfach merkwürdig . An der Haltestelle Kings Cross sprang sie aus dem Bus, rannte die Rolltreppe zur U-Bahn hinunter, quetschte sich in die brechend volle Bahn und fuhr gegen einen Kinderwagen gepresst Richtung Piccadilly Circus. In Covent Garden stieg sie aus und fühlte sich augenblicklich besser. Es war ihre Lieblingshaltestelle. Sie liebte die altmodisch grün gekachelten Wände und die klapprigen Aufzüge, die einen mitten hinein in das vibrierende Großstadttreiben Londons entließen – es hatte beinahe etwas Magisches. Auf diesen Teil der Fahrt hatte sie sich immer am meisten gefreut, wenn ihre Mutter sie früher als Kind zum Shoppen mit hierher genommen hatte. Aber jetzt war sie auf sich allein gestellt und hatte zum ersten Mal, seit sich am frühen Nachmittag die schweren Eisenflügeltüren der Gruft hinter dem Sarg ihres Vaters geschlossen hatte, das Gefühl, wieder frei atmen zu können. Weit und breit war niemand, der ihr sagte, was sie

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