Die Schule der Nacht
Ravenwood-Schüler ausfindig zu machen.
»Und wo wohnt er jetzt?«, fragte sie so beiläufig wie möglich.
»In Somerset, glaube ich«, sagte Davina seufzend. »Oder war es Devon? Jedenfalls irgendwo, wo es keinen Flughafen gibt. Aber wahrscheinlich gefällt es ihm mitten im Nirgendwo ganz gut. Er hat seine Zeit immer schon am liebsten mit Lesen verbracht.« Sie machte den Barmann mit einem Fingerschnippen auf sich aufmerksam und wandte sich noch einmal zu April um. »Kann ich dich wirklich nicht zu einem Drink überreden?«
»Im Moment nicht, danke«, lehnte April ab. »Ich geh mich mal kurz ein bisschen frisch machen, wir sehen uns dann später.«
Auf der Toilette schloss sie sorgfältig die Tür hinter sich ab, dann schlüpfte sie aus ihrem Schuh, stellte den Fuß auf den heruntergeklappten Klodeckel, raffte ihr langes Kleid nach oben – und zog mit einem triumphierenden Lächeln ihr Handy aus dem himmelblauen Strumpfband, das sie aus der Wäschekommode ihrer Mutter stibitzt hatte und das jetzt ihren Oberschenkel zierte.
Ein Glück, dass Handys inzwischen so klein sind , dachte sie, während sie es einschaltete und sorgfältig in ihrem BH -Körbchen verstaute. Kein Mädchen sollte jemals ohne sein persönliches Vampir-Ortungsgerät das Haus verlassen.
»Nicht übel, April Dunne«, sagte sie selbstzufrieden, als sie sich prüfend im Spiegel betrachtete. Die Haare fielen ihr in weichen glänzenden Wellen auf die nackten Schultern, und ihr Make-up war perfekt auf ihr traumhaft schönes violettes Ballkleid abgestimmt – sie fühlte sich wie eine Leinwandschönheit aus den 1930er-Jahren. »Gar nicht übel.« Dann klemmte sie sich ihre Clutch unter den Arm, warf ihrem Spiegelbild eine Kusshand zu und entriegelte mit einem geflüsterten »Die Show kann beginnen« die Tür.
Caro amüsierte sich allem Anschein nach prächtig. April stand oben auf der Treppe und beobachtete, wie ihre Freundin kurz nacheinander zwei Gläser Champagner leerte, bevor sie eine Gruppe gut aussehender Männer auf die Tanzfläche zog. Aber ihre Mission schien sie trotzdem nicht vergessen zu haben, denn als April sich etwas später zwischen den anderen Gästen hindurchschob, sah sie, dass Caro inzwischen an einem Tisch saß, wo sie sich angeregt mit jemandem unterhielt – und zwar mit niemand Geringerem als Nicholas Osbourne.
»April, komm mal kurz her!«, rief sie und winkte sie zu sich. »Du glaubst ja gar nicht, was für ein toller Tänzer Davinas Vater ist.«
»Ob ich wirklich so ein toller Tänzer bin, lassen wir mal dahingestellt sein«, sagte Mr Osbourne lächelnd, während er Aprils Hand schüttelte. »Meinen Kindern bin ich, fürchte ich, eher etwas peinlich.«
»Dann haben Davina und Ben offenbar noch nie gesehen, wie perfekt Sie den Ententanz beherrschen«, sagte Caro.
»Ihre Freundin hält mir gerade einen Vortrag über ethische Unternehmensführung«, erklärte Mr Osbourne sichtlich amüsiert. »Anscheinend ist sie der Meinung, sie könne meine Geschäfte effizienter führen als ich.«
»Ich habe ihn lediglich darauf hingewiesen, dass es ein genialer PR -Coup sein könnte, die Millionen, die für Marketing ausgegeben werden, an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden.«
»Wie denken Sie denn darüber, April?«, wandte Mr Osbourne sich an sie, um sie in die Unterhaltung mit einzubeziehen. Caro nutzte die Gelegenheit und formte mit den Lippen das Wort »Schule«. April musste sich das Lachen verkneifen. »Na ja, wie viel geben Sie denn im Jahr für wohltätige Zwecke aus? Können Spenden nicht auch von der Steuer abgesetzt werden?«
Nicholas Osbourne nickte. »Jedenfalls zu einem Teil, das stimmt.«
»Warum halten Sie es dann nicht wie die Reichen zu Zeiten Königin Victorias?«, schlug sie vor. »In der damaligen Zeit haben die Wohltäter Krankenhäuser und Schulen gebaut.«
»Genau, Sie könnten die ›Osbourne School of Dance‹ gründen«, schlug Caro vor.
Mr Osbourne lachte. »Ihre Ansichten gefallen mir, meine Damen, aber ich fürchte, so einfach funktioniert das heutzutage nicht mehr. Die Menschen sind zynischer geworden. Würde ich in meiner Eigenschaft als Besitzer von ›Agropharm‹ ein Krankenhaus errichten, käme es zu lautstarken Protesten und Vorwürfen, wir würden die armen Kranken für unsere Zwecke ausnutzen, ihnen unsere Medikamente und medizinisch-technischen Errungenschaften aufzwingen und sie sozusagen als Versuchskaninchen missbrauchen.«
»Okay, aber wie wäre es dann mit einer Schule?«,
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