Die Schule der Nacht
irgendwie auf unserer Seite.«
»Das wird sich noch zeigen.« April stand auf und ging zielstrebig über die Tanzfläche.
»April…«, sagte Gabriel, als er sie auf sich zukommen sah, aber sie beachtete ihn gar nicht, sondern ging an ihm vorbei und trat am anderen Ende des Pavillons in den verschneiten Garten hinaus. Dort schlenderte sie zu einem kleinen Brunnen, der so weit vom Pavillon entfernt stand, dass man sie dort nicht sofort sehen würde, und schlang die Arme um den Oberkörper, um sich zu wärmen.
»Hier, zieh die an.« Gabriel, der ihr gefolgt war, trat hinter sie und legte ihr sein Jackett um die Schultern. Sie musste unwillkürlich an die anderen Male denken, als er ihr seine Jacke geliehen hatte, und konnte nicht anders, als sich heimlich über die Wärme und seinen vertrauten Duft zu freuen. Außerdem war ihr nicht entgangen, dass er in seinem perfekt sitzenden Smoking fantastisch aussah. Er hatte seine Fliege etwas gelockert und den obersten Hemdknopf geöffnet, und seine dunklen Haare fielen ihm in die Stirn. Einen Moment lang standen die beiden einfach nur da und blickten über die Gartenmauer der Osbournes auf den Friedhof, wo sich die Grabsteine und Katakomben, in helles Mondlicht getaucht, bleich vor dem dunklen Hintergrund abhoben.
»Bei Nacht sieht das alles so friedlich aus, findest du nicht?«, sagte sie leise. »So schön.«
»So ist es nicht immer«, antwortete Gabriel.
April fuhr zu ihm herum. »Fang jetzt bitte nicht schon wieder an, in Rätseln mit mir zu sprechen, Gabriel. Ich glaube, über den Punkt sind wir mittlerweile hinaus. Du bist ein Vampir, ich bin die Retterin der Menschheit, was soll es sonst noch für Geheimnisse geben?« Sie sah ihn an und schüttelte stöhnend den Kopf. »Es gibt noch mehr, stimmt’s?«
»Noch mehr was?«
»Geheimnisse.«
»April, du kannst nicht…«
»Ach, sei still!«, unterbrach sie ihn heftig. »Du, meine Mutter, mein Großvater und seit Neustem auch noch Miss Holden – ihr wollt alle mit mir über irgendwelche unglaublich wichtigen Dinge reden, rückt aber einfach nicht mit der Sprache heraus. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich das satthabe!« Sie drehte sich um und wollte zum Haus zurück, aber Gabriel hielt sie am Arm fest und wirbelte sie zu sich herum, sodass sie direkt in seine dunklen Augen blicken musste, in denen ein wilder, leidenschaftlicher Ausdruck lag.
»Sieh mich an, April«, sagte er. »Ich bin hier, um dir zu helfen, also hör endlich auf, mich immer wieder von dir wegzustoßen. Ich weiß, wie schwer es dir fällt, das alles zu akzeptieren, aber es hat keinen Sinn, so zu tun, als wäre es nicht wahr. Wenn wir nichts unternehmen, werden die Leute, die deinen Vater umgebracht haben, gewinnen und das zu Ende führen, was sie sich vorgenommen haben – was immer es auch ist.«
»Und wenn schon?«, entgegnete April. »Welchen Unterschied würde das machen? Eine weitere korrupte Regierung, eine weitere Gruppe eigennütziger Leute, die an der Macht sind? Was wäre daran denn so viel anders als das, was wir ohnehin schon haben?«
Gabriel verstärkte den Griff um ihre Arme und schüttelte sie unsanft. »Wach endlich auf, April!«, sagte er wütend. »Du bist kein naives kleines Kind mehr, also hör auf, dich wie eines zu benehmen. Begreifst du denn nicht? Diese Leute sind nicht einfach nur korrupt, sie verkörpern das Böse. Sie sind durch und durch schlecht. Sie werden euch vergewaltigen, euch foltern, euch hungern lassen, euch verbrennen und sich dabei auch noch an eurer Qual weiden. Es bereitet ihnen teuflisches Vergnügen, anderen Schmerz und Leid zuzufügen, für sie gibt es nichts Köstlicheres als den Geschmack von Blut. Sie kennen keine Grenzen, haben keine Moral und werden nicht davor zurückschrecken, alles einzusetzen, das ihnen einen Vorteil verschafft: nukleare oder chemische Waffen, möglicherweise sogar Schlimmeres! Vielleicht haben sie vor, die Welt in die finsterste Feudalzeit zurückzustoßen und sich die Menschen als Sklaven zu halten. Du fragst, welchen Unterschied es machen würde? Es wäre die Hölle auf Erden!«
Entsetzliche Angst kroch in April hoch. Angst vor Gabriel und der Wut in seinen Augen, Angst vor der drohenden Gefahr und Angst vor dem, was sie womöglich gezwungen sein würde zu tun. Sie stieß ihn heftig von sich.
»Aber ich will das nicht!« Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Ich will mit alldem nichts zu tun haben!«
»Dir wird wohl nichts anderes übrig bleiben«, zischte Gabriel.
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