Die Schule der Nacht
in den Notizen ihres Vaters gefunden hatte, aber ihre Freundin hatte recht – die Vorstellung, dass irgendeine Verseuchung des Bodens oder gar ein Vampir für die ungeklärten Gewalttaten in London verantwortlich sein könnte, klang tatsächlich ziemlich absurd. Natürlich war sie daran gewöhnt, dass ihr Vater absurde Ideen hatte, aber sie musste sie ja nicht unbedingt mit der ganzen Welt teilen.
»Hey, mach dir keine Sorgen«, sagte Simon, als er Aprils beunruhigte Miene sah. »Schließlich hast du dieses Mädchen nicht umgebracht. Du hast nur versucht zu helfen, indem du der Polizei alles erzählt hast, was du weißt. Daraus kann dir niemand einen Strick drehen.«
Aprils Blick wanderte schuldbewusst zum Tisch der »Schlangen«, wo Gabriel saß. Sie hatte der Polizei nicht die ganze Wahrheit erzählt. Aus irgendeinem Grund, den sie sich selbst nicht erklären konnte, hatte sie den Beamten verschwiegen, dass sie Gabriel am Friedhof gesehen und dass er sie auf die Straße gezerrt und ihr gesagt hatte, sie solle verschwinden. Sie war kurz davor gewesen, es ihnen zu sagen, aber im letzten Moment hatte irgendetwas sie davon abgehalten. Hatte sie Angst vor Gabriel? Nein, das war es nicht. Irgendwie spürte sie, dass sie von ihm nichts zu befürchten hatte. Lag es daran, dass sie ihn nicht verraten wollte? Aber sie kannte ihn ja kaum.
Gabriel bemerkte ihren Blick nicht, weil er sich ganz auf Layla konzentrierte, die gerade gestenreich irgendetwas erzählte. Es ließ April keine Ruhe, dass sie selbst nicht wusste, was an dem Abend auf dem Friedhof passiert war. Was hatte Gabriel überhaupt dort zu suchen gehabt? War er es gewesen, der die Polizei angerufen hatte? April wusste nicht, was sie von alldem halten sollte. Vielleicht waren es die Gene ihres Vaters, vielleicht auch nur krankhafte Neugier oder einfach das schlechte Gewissen, weil sie dem Mädchen nicht hatte helfen können – aber ganz gleich, was es war, April wusste, dass sie erst wieder ruhig würde schlafen können, wenn sie herausgefunden hatte, was in dieser Nacht passiert war. Hätte sie der Polizei Gabriels Namen genannt, würde sie wahrscheinlich niemals die Chance bekommen, es zu erfahren.
»Glaubst du wirklich, dass sie mich verdächtigen?«, fragte sie Caro noch einmal. »Okay, ich war in der Nähe des Tatorts, aber warum sollte ich jemanden umbringen?«
Caro zuckte mit den Achseln. »Geplatztes Drogengeschäft? Mord aus Eifersucht? Hey, genau! « Sie zeigte mit einer angebissenen Selleriestange auf April. »Vielleicht seid ihr ja ein lesbisches Liebespaar gewesen.«
»Schön, dass es wenigstens einen Menschen gibt, der die Sache genießen kann«, sagte Simon ironisch. »Es ist ja nicht so, als ginge es hier um ein schreckliches Verbrechen, bei dem ein Mensch ums Leben gekommen ist.«
»Jetzt sei nicht so gemein!« Caro lachte und warf ihm ihre Selleriestange an den Kopf. »Was kann ich denn dafür, dass ich eine Schwäche für mysteriöse Mordfälle habe?« Sie grinste. »Außerdem hat das Ganze doch wirklich auch etwas Gutes. Schau dir nur mal an, wie viel Aufmerksamkeit April plötzlich bekommt. Gestern war sie noch die langweilige Neue, und heute ist sie Bonnie von Bonnie und Clyde.«
Obwohl April eigentlich gar nicht zum Lachen zumute war, musste sie lächeln. Caros nüchterner Umgang mit dem Thema relativierte alles wieder ein bisschen und ließ sie hoffen, dass sie sich das mit den dunklen Augen vielleicht wirklich nur eingebildet hatte.
»Oh-oh… Ärger im Anmarsch«, murmelte Caro in diesem Moment. April blickte auf und sah, wie Davina Osbourne auf ihren Tisch zumarschiert kam.
»Hey, hey«, säuselte sie und lächelte strahlend in die Runde. »April, Süße, ich hab gehört, was gestern Abend passiert ist.« Sie zog einen mitfühlenden Schmollmund. »Gott, das muss schrecklich für dich gewesen sein. Ich wollte mich nur mal kurz vergewissern, dass es dir gut geht.«
»Deine Fürsorge ist wirklich rührend, Davina, Süße «, äffte Caro ihren Tonfall nach.
»Nett von dir, danke«, sagte April schnell. »Aber mir geht’s gut. Ich hab gestern Abend auf der Swain’s Lane nur ein paar seltsame Geräusche gehört und…«
»Oh mein Gott«, unterbrach Davina sie und presste sich die Hand auf den Mund. »Heißt das, du hast mitbekommen, wie Isabelle umgebracht wurde? Hast du ihre Todesschreie gehört?«
»Nein, ich habe nur ein seltsames Geräusch gehört. Die Polizei glaubt nicht mal, dass ich an der Stelle stand, an
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