Die Schule der Nacht
wertvolle Zeit zu verlieren, falls sich die Informationen als wichtig erweisen sollten. »Außerdem ist es so weniger traumatisch für Ihre Tochter, als wenn wir sie aufs Revier bestellen würden«, hatte der Mann erklärt.
Bei der Polizei wissen sie vielleicht, wie man Mörder fängt, aber vom Schulalltag haben sie anscheinend keine Ahnung, dachte April seufzend. Es war schon schlimm genug, ins Büro des Schulleiters zitiert zu werden, aber als die Sekretärin Mrs Bagly sie mitten aus der Chemiestunde geholt und ihrem Lehrer Mr Fitzpatrick zugeraunt hatte, es ginge um eine Befragung durch die Polizei, hatte im Klassenzimmer sofort aufgeregtes Getuschel eingesetzt. April war sich sicher, dass an der Schule mittlerweile das Gerücht herumging, sie sei eine landesweit gesuchte Drogendealerin.
»Tut mir leid, dass Sie warten mussten, April«, entschuldigte sich Mr Sheldon, als er in den Raum trat und seinen Raubvogelblick prüfend auf sie heftete. Er nahm hinter seinem Schreibtisch Platz und verschränkte die Hände. »Wie ich höre, sind Sie in eine… wie soll ich sagen?… unangenehme Situation geraten. Können Sie mir erzählen, was genau Sie gesehen haben?«
April rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. Es gefiel ihr nicht, wie Mr Sheldon sie ansah – mit einer Mischung aus Widerwillen und Neugier –, und sie war sich nicht sicher, ob sie ihm Dinge erzählen sollte, die eigentlich nur für die Ohren der Polizei bestimmt waren.
»Ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas Wichtiges gesehen habe«, erwiderte sie schließlich vage.
Mr Sheldon zog die grauen Brauen so eng zusammen, dass sie sich beinahe berührten.
»Ach… Ich dachte, Sie hätten das bedauernswerte Geschöpf auf dem Friedhof liegen sehen?«
April erstarrte. Außer mit ihrem Vater hatte sie mit niemandem darüber gesprochen, und in den Nachrichten war noch nicht über den Fall berichtet worden.
»Woher wissen Sie, dass ich auf dem Friedhof war?«
Mr Sheldons Ausdruck wurde etwas weicher. »Ich habe eine ganz gute Kombinationsgabe, Miss Dunne«, sagte er. »Im Übrigen verfüge ich selbst über ein paar Kontakte zur Polizei. In meiner Position ist das sozusagen unabdingbar, obwohl ich betonen möchte, dass wir hier an der Ravenwood School so gut wie nie Schwierigkeiten mit den Behörden haben.«
April bildete sich ein, aus seinem Ton eine kleine Spitze gegen sich herauszuhören, doch glücklicherweise klingelte in diesem Moment das Telefon.
Er nahm ab, bellte ein knappes »Ja?« in den Hörer, hörte einen kurzen Moment lang zu und legte dann wieder auf. »Die Beamten sind bereits eingetroffen«, sagte er an April gewandt, und in seiner Stimme schwang leichte Enttäuschung mit.
Er stand auf und ging um seinen Schreibtisch herum, als es auch schon an der Tür klopfte und ein ernst wirkender, grauhaariger Mann und eine mollige, junge Frau eintraten. Die Frau trug einen schlecht sitzenden dunkelgrünen Hosenanzug und zog ein mürrisches Gesicht, der Mann erinnerte April an einen Marineoffizier aus einem Bruce-Willis-Film – die Sorte, die in der ersten halben Stunde getötet wird.
»Mr Sheldon?« Der Mann streckte die Hand aus. »Ich bin Detective Inspector Ian Reece, und das ist meine Kollegin, Detective Sergeant Amy Carling. Vielen Dank, dass wir Ihr Büro für die Befragung nutzen dürfen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns mit Miss Dunne allein zu lassen?«
»Nun, da Aprils Eltern nicht anwesend sind«, antwortete der Schulleiter ruhig, »halte ich es für das Beste, wenn ich bleibe und…«
»Nicht nötig, Mr Sheldon«, sagte April schnell. »Ich habe damit kein Problem.«
»Keine Sorge, Sir, bei uns ist sie gut aufgehoben.«
»Natürlich.« Mr Sheldon wandte sich zur Tür. »Lassen Sie mich wissen, falls Sie etwas benötigen.« Mit einem vielsagenden Blick in Aprils Richtung fügte er leise hinzu: »Ich könnte Ihnen ihre Schulakte bringen lassen…«
»Wenn wir etwas brauchen, melden wir uns, Sir«, entgegnete der Beamte, schloss bestimmt die Tür hinter dem Schulleiter und wandte sich dann an April. »So, Miss Dunne, vielen Dank, dass Sie sich an uns gewandt haben. Würden Sie uns nun bitte genau erzählen, was Sie gestern Abend gesehen haben?«
»Alle starren mich an.«
Caro biss in ihr mit Marmite bestrichenes und mit Chips belegtes Brötchen und bröselte den Tisch in der Cafeteria mit Krümeln voll. » Klar starren sie dich an«, antwortete sie mit vollem Mund. »Du bist die Hauptverdächtige in einem brutalen
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