Die Schule der Nacht
ein anderes Mal. Ah, da bringt Stanton ja auch schon die köstlichen Florentiner!«
Während sie schweigend Tee tranken und das Gebäck knabberten, lauschten sie dem Regen, der gegen die Fenster prasselte. Das Wetter war im Laufe der letzten Tage stetig schlechter geworden, und es hörte sich an, als würde sich ein Unwetter zusammenbrauen.
»Und jetzt möchte ich einen Toast aussprechen«, verkündete Thomas schließlich und schlug mit einem Silberlöffel klirrend gegen seine Teetasse. »Auf meine liebe Tochter und Enkelin und auf die Familie.«
Sie hoben ihre Tassen, und die Stimmung entspannte sich wieder ein bisschen.
»Und nun zu dir.« Thomas wandte sich lächelnd an April. »Ich habe gehört, du gehst auf eine Party?«
April sah kurz zu ihrer Mutter hinüber, bevor sie nickte. »Ja, stimmt. Ein Mädchen aus meiner neuen Schule hat mich auf eine Halloweenparty eingeladen.«
»Das höre ich gern!«, sagte ihr Großvater zufrieden. »Dann hast du also schon ein paar Freundschaften geschlossen? Freunde zu haben ist sehr wichtig.«
»Aprils neue Freundin stammt übrigens aus einer sehr wohlhabenden Familie«, warf Silvia ein.
»Als ob das wichtig wäre, Mum«, sagte April genervt.
»Nun, ich würde dich ganz bestimmt nicht an einem Sonntagabend auf eine Party gehen lassen, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass diese Leute der richtige Umgang für dich sind.«
»Der richtige Umgang?«, rief April empört.
»Deine Mutter hat völlig recht, Prinzessin«, mischte ihr Großvater sich ein. »Wohlstand ist nichts, dessen man sich schämen müsste. Im Gegenteil. Du solltest dich von der Tatsache, dass jemand Geld hat, nicht einschüchtern lassen – das hat mehr Vor- als Nachteile. Wer behauptet, Geld wäre nicht wichtig, weiß nicht, was es heißt, arm zu sein.«
»Aber ich gehe doch nicht deswegen auf die Party, weil Davinas Vater reich ist«, entgegnete April. »Außerdem ist es gar nicht ihre Party, sondern die von einem Freund von ihr, der Milo heißt. Auch wenn du es dir vielleicht nicht vorstellen kannst…«, fügte sie mit einem demonstrativen Seitenblick auf ihre Mutter hinzu, »es gibt Menschen, die nicht so oberflächlich sind, andere Leute nur danach zu beurteilen, wie viel Geld sie haben.«
»Wer weiß, vielleicht lernst du dort ja einen netten, reichen, jungen Mann kennen?«, sagte Thomas zwinkernd.
»Stell dir vor, ich hab auch noch andere Dinge im Kopf als Jungs, Grandpa.«
»Also wenn du auch nur einen Hauch nach deiner Mutter kommst…«
»Papa!«
»Was ist denn? Ich sage dir, April, den Kerlen ist der Mund offen stehen geblieben, wenn deine Mutter an ihnen vorbeigegangen ist«, erzählte Thomas stolz lächelnd. »Sie war damals das schönste Mädchen von ganz London. Und ist es nach wie vor.«
»Jetzt reicht es aber, Papa«, sagte Silvia streng, auch wenn um ihre Mundwinkel ein kleines Lächeln spielte.
»Nein, ich würde gern noch mehr hören«, bat April, die froh darüber war, dass nicht mehr sie und ihr nicht vorhandenes Liebesleben im Mittelpunkt des Gesprächs standen. »Ich würde gern hören, wie Mum gewesen ist, als sie in meinem Alter war.«
»Eine Wildkatze ist sie gewesen!«, rief Thomas. »Hat sich nachts aus dem Internat geschlichen, um auf die rauschendsten Partys in Chelsea zu gehen und sich mit den Jungs aus Eton und Harrow zu treffen. Sie bildet sich ein, ich wüsste nichts davon, aber ihr Schulleiter hat mich immer über alles auf dem Laufenden gehalten.«
April sah erstaunt, wie ihre Mutter rot wurde – auch das hatte sie nie zuvor bei ihr erlebt.
»Während des Studiums hat sie auch nichts anbrennen lassen und sich ständig mit irgendwelchen Lords und Marquis getroffen. Einmal hat sie sogar ein Auge auf einen Amerikaner geworfen. Einen texanischen Ölerben, ist es nicht so, Silvia?«
»Rhetts Familie…«
»Rhett?«, prustete April. »Er hieß doch nicht wirklich Rhett, oder?«
»Doch. Das Lieblingsbuch seiner Mutter war nun mal ›Vom Winde verweht‹.« Silvia zuckte die Achseln. »Und die Familie war nicht nur ganz dick im Ölgeschäft, sondern auch in der Elektroindustrie.«
April musste laut lachen, als sie sich ihre Mutter als Scarlett O’Hara vorstellte, und freute sich diebisch darüber, endlich mal ein paar pikante Details aus ihrem Leben zu erfahren.
»Stell dir vor, April, deine Mutter war sogar mal mit einem echten Sultan verlobt.« Ihr Großvater grinste verschmitzt.
»Er war kein Sultan.« Silvia rümpfte pikiert die Nase. »Er war Emir,
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