Die Schule der Nackten
Juliaan, das sei holländisch mit zwei «a», aber das könne niemand aussprechen.
«Juliane!»
Sie nickt (auf wundervolle Weise).
«Mein Name ist Alexander», erkläre ich.
*
So stiegen wir denn gemeinsam aus dem Wasser, sehr zum Erstaunen meiner alten Damen, die den Vorgang mit angesehen, möglicherweise mit angehört hatten - im Jakobi-Bad spielt sich jedes Drama auf Armeslänge ab -, und denen nun, da wir aus dem Wasser stiegen, die Augen aus dem Kopf fielen, weil sie das Mädchen Juliane noch nicht im Ganzen gesehen hatten. Frau Kastenmair, die immer auf der rechten Hüfte lag, soll gesagt haben, da hätte sie ja auch noch Chancen.
Den Rest des Tages verbrachte ich im Hochgefühl - allerdings will ich gleich vorausschicken, daß ich am selben Abend noch dreimal zusammenbrach. Ich glaube, daß ich auch nicht richtig sprechen konnte, nicht gerade stotternd, aber kloßig und mit wenig Vernunft. In der Woche zuvor hatte ich voller Hoffnung zwei spektakuläre Badetücher gekauft. Sie stellten auf der Vorderseite einen halben grünen Baum auf gelbem Feld dar, auf der Rückseite einen halben gelben Baum auf grünem Feld, die aber zusammengelegt einen ganzen Baum ergaben. Da lag ich mit der Schönen, erzählte ihr die unglaublichsten Geschichten, konnte nur hoffen, daß niemand zuhörte. Zum Beispiel breitete ich ein gewaltiges Panorama aus, in dem wir uns bereits vor dreitausend Jahren geliebt hätten, in den Gärten von Ninife, vor zweitausend Jahren auch, im sumerischen Aleppo, das damals Bibliosse hieß.
Vor tausend Jahren?
Vor tausend Jahren auch.
Das Karma, legte ich dar, habe uns zusammengeführt, immer wieder, durch die Jahrtausende, als Könige oder Bettler, in guten und bösen Zeiten, und wenn nicht in diesem, dann im nächsten Leben. Fast glaubte ich selbst daran. Ließ mich nur gelegentlich frühgeschichtlich und althistorisch davontragen: In Batseba, im ersten Reich Assyrien, etwa, kamen wir gleichgeschlechtlich zur Welt und hatten große Mühe, unser beider Gefühle zu ordnen.
«Ich kenne und erkenne dich», rief ich aus, «wo immer und wie immer, als Herrin oder Sklavin, Russin oder Chinesin, in jeder Inkarnation, als Zimmerlinde oder Taube, immer werde ich dich erkennen.»
So auch dieses Mal.
Zwei Stunden im Hochgefühl.
Das ewige Paar.
Zum Entsetzen der alten Damen, die uns so dicht voreinander flüstern sahen und wahrscheinlich dachten, daß wir uns zwei Stunden küßten. Nur daß es eben viel zu spät war, vor zehn Jahren vielleicht, noch besser vor zwanzig.
«Juliane», rief ich aus, «willst du mich heiraten?»
Sie sah mich sehr lange prüfend an:
«Ich werde dich Alex nennen.»
– – –
8
Sie nahm mich mit zu sich nach Hause.
«Möchtest du mit mir kommen, Alex?»
An diesem fliegenden Abend.
Ich hatte nicht gewußt, daß München so viele Lichter hat. Wir fuhren durch die Ainmillerstraße über den Rotkreuzplatz, Donnersbergerbrücke, durch die Trappentreustraße, und jedes Haus war gelb und gold, rot und rosenfarben. Alle Ecklokale fürstlich erleuchtet mit juwelenbesetzten Baldachinen. Ich hatte nicht gewußt, wie viele illuminierte Bierseidel München aufweist, wie viele Lichtsäulen und Leuchtampeln, und über allem der Fernsehturm wie ein gleißendes Szepter.
«Herrgott», rief ich aus, «wie schön ist München, wie kommt es, daß es so schön ist.»
Der Taxifahrer fuhr dezent, drehte sich auf der ganzen Strecke bis zur Gertrudenstraße kein einziges Mal um, bis zu einer Wohnanlage mit hintereinandergestaffelten Blöcken, jeder Block zwölf Stockwerke hoch, und dort im dritten Block, eine Treppe hoch, durch einen rechts und links von Türen flankierten Gang hindurch, im Apartment 113 wohnte sie, Juliaan Fabergast, meine Göttin.
Mit großen Erwartungen?
Eigentlich ja.
Es fiel mir nicht gleich auf, als ich die Wohnung betrat. Der Grundriß war mit einem Blick zu überschauen, eine Wohnschachtel mit Wohnzimmer, Kochnische und der üblichen Glasfront zum Balkon hin, dazu ein kleines Badezimmer, dessen Tür offenstand. Vor dem Balkon das zwölfstöckige Wabenmuster des nächsten Blocks als Ausblick. Auf dem Balkon eine Liege am Geländer.
«Liegst du da?»
Die Fenster des gegenüberliegenden Wabenmusters waren teilweise hinter Balkone zurückverlegt, teilweise vorn in die Mauer gesetzt, so daß sich durchgehende Senkrechten ergaben. An einem der Fenster stand ein Mann, stützte sich am Sims ab.
«Jeden Morgen, ab fünf.»
«Ab fünf?»
«Da ziehe ich um,
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