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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Augustin
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mechanisch, ohne Emotion. Wie man eigentlich nicht seufzt.
    «Was ist das?»
    «Was?»
    «Das!» wollte ich wissen.
    «Sie atmen», erklärte mir der Yoko, und der Bali nickte dazu: «Sie atmen.»
    Also atmeten sie, allerdings schien das eine sehr ausführliche Atmung zu sein, der Tonlage nach zu urteilen, anfangs noch etwas brüchig, aber nach ein paar Probeläufen steter und lauter werdend, als ob Luft aus einem Druckbehälter herausgelassen wurde. Bis schließlich das volle Gebrüll ertönte.
    «Hiiihh - - hiiihh - -!»
    «Hört sich gut an», sagte Yoko.
    Ich war aufgesprungen und zum Bad gelaufen. Riß die Tür auf, man bedenke, daß mir bis dahin nicht die leiseste Ahnung vom Wesen und Wirken der anderen Generation gekommen war, ich meine, ich hatte mir nie einen Begriff gemacht, es war nie an mich herangetragen worden, hiiihh. Immerhin hätte ja auch ein entsetzliches Unglück geschehen sein können. War es auch! Juliane saß strahlend vor dem Krishnu in der Badewanne, beide in aufrechter Position, beide gewaltig atmend. Dazu hatten sie beide - man denke - die Zunge zur Röhre gerollt, durch die sie diese Töne von sich gaben.
    «Hiiiiiiiihhhh–-»
    – –

    Das war es dann gewesen.
    Hier und an dieser Stelle bin ich zum zweiten Mal zusammengebrochen, bildlich gesprochen, nicht wirklich, denn ich hielt mich ganz gut auf den Beinen. Es war wohl die Heiterkeit, die mich umbrachte, das frohe Unterfangen und die Kerzenbeleuchtung im Bad, sie war festlich. Dazu strahlte mich Juliane voll an, in dieser Beleuchtung.
    Im Totenreich.
    Als ich wieder im Taxi saß und durch die Stadt nach Hause gefahren wurde, war diese eine außerordentlich dunkle Stadt, ohne jegliche Illumination, höchstens daß ein paar Funzeln an den Ecken brannten, aber auch die fast am Erlöschen - wahrscheinlich war der Taxifahrer eine andere Route gefahren.
    Jawohl, es hatte noch ein drittes Mal gegeben, draußen, als ich über den gepflasterten Hof flüchtete und nicht wußte, ob mir noch jemand nachblickte. Vom Badezimmerfenster her oder vom Balkon. Und mich nicht umsah, und dann doch: Da war der Jemand wohl schon wieder vom Balkon zurückgetreten. Jawohl, das war das dritte Mal, daß ich umfiel, direkt auf das Pflaster, hatte nicht genügend achtgegeben.

    *

    In dieser Nacht träumte ich von einem Blau, das ich nicht verstand. Es war ein unglaublich blauer Traum. Das Blau war eine Sonne, den ganzen Himmel verdeckend, in der Tiefe schwarz, zum Rand hin kreischend grell hellbau, fast weiß und dennoch blau.
    Meine Schöne streckte sich, und ich war der glücklichste Mann der Welt, schwamm in einem Meer von Glück, und im Aufwachen ist es mir, als hätte ich von einer Vergangenheit geträumt, die stattgefunden hat -, während jetzt, da ich aufwache, eine merkwürdige Zukunft stattfindet: Der viereckige Sonnenfleck dort auf der Fensterbank ist Zukunft, mein abgrundtiefes Befinden ist Zukunft und das Gezwitscher der Vögel draußen eine fast überzeugend realistische Beigabe.

9

    Mein Herz ist voller Haß.
    Es vergeht keine Stunde, in der ich nicht an dich denke.
    Und die Trauerarbeit ist gut für gar nichts.
    – – –
    Wenn ich jetzt ihre Geschichte erzähle - wie ich sie eines Tages erfahren habe -, dann nur, um einen Schlußstrich unter eine ziemlich lächerliche und unpassende Beziehung eines älteren Herrn zu einer gewissen Dame zu ziehen. Und es soll hier auch nichts gerechtfertigt, nichts begründet und schon gar nichts beschönigt werden. Nur daß sie, die Beziehung und die Dame, endgültig abgeschrieben waren.
    In Haß und Liebe, wie man es nennen mag.
    Sie stammte also aus Siegen, zweiunddreißig Jahre alt, Tochter eines Kneipenwirts, eines Kneipjehs. Oh, sie hatte etwas von Gastronomie gefaselt, es ist aber eine Kneipe gewesen, in der sie aufgewachsen war. Eine der schlimmeren Sorte. Vor den Werktoren einer Kanalrohrfabrik gelegen, wo nach Werksschluß die Rohrleger sich eine Seelenstärkung genehmigten, eine fröhlich feuchte. Oder es kann auch eine Lederfabrik gewesen sein, ausgezeichnet durch scharf säuerlichen Geruch, durch Streikwellen und anhaltendes Pfeifen um fünf, woraufhin eine ähnlich feuchtfröhliche Kategorie in die Kneipe strömte. Jedenfalls alles Männer (nur Männer), die schließlich ihren Spaß haben wollten nach der schlimmen Arbeit, die sie verrichteten.

    *
    In diesem «Milieu» mußte die Zwölfjährige mit Bier und Doppelstöckigen bedienen. Das hat es nie gegeben? In Siegen ja. Da zwängte sich das

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