Die Schule der Spielleute
Doch er hatte kein Glück. Der Wächter am Tor beschied ihm, dass Herr Heinrich nicht in der Stadt sei und erst am Abend zurückkehren wolle.
Also machte Franz sich auf zum Heilig-Geist-Spital vor der Neuen Pforte, südlich der Stadt.
Trotz des Sonnenscheins wirkte das Kloster mit seinen hohen Mauern düster, ein Ort zum Sterben. Es widerstrebte Franz, hineinzugehen. Er dachte an die Lieder, die er nicht spielen konnte, und nahm all seinen Mut zusammen. Der Pförtner wies ihn zu einem Nebengebäude an der Ostmauer, umgeben von Beeten, die auf die erste Frühjahrsarbeit warteten.
Ein Bruder Benedikt nahm sich seiner an. Auch wenn die Männer mit ihren geschorenen Köpfen gleich viel älter aussahen, wirkte dieser eher jung.
An der Tür zu seiner engen Werkstatt besah er sich Franz Handgelenk von allen Seiten und drückte mehrmals auf besonders schmerzende Stellen. Dabei machte er Franz keine Vorhaltungen wegen seines Berufs, riet ihm aber, das Spielen für eine Weile sein zu lassen. ťIch weiß ja, dass es nichts fruchtet, aber sagen muss ich es trotzdem.Ť
ťWie lange wäre eine Weile?Ť, fragte Franz.
Bruder Benedikt hob die Schultern. ťDrei, vier Tage, höchstens eine Woche. Bis es nicht mehr weh tut.Ť
Franz grinste. ťDas kann schon morgen sein.Ť
ťHab ichs nicht gesagt?Ť Der Mönch trat in seinen Arbeitsraum und kam kurz darauf mit einer dunklen Glasflasche zurück. Daraus goss er eine klare, honigfarbene Flüssigkeit in eine Schale, tränkte ein Tuch damit und legte es um Franz Handgelenk. Es roch scharf und fühlte sich kalt an. Dann wickelte er feste Leinenstreifen darum, der Geruch verschwand, und die Hand wurde wärmer.
ťWas ist das?Ť, fragte Franz.
ťEin alkoholischer Podagraria-AuszugŤ, erklärte Bruder Benedikt.
Das klang doch ähnlich wie das, was Robert gesagt hatte. Franz versuchte sein Glück: ťHabt ihr das aus Venetien?Ť
Der Mönch nickte zaghaft. ťIch weiß, dass der Apotheker zur Kette selbst brennt. Aber er verdirbt dabei mehr, als er gewinnt.Ť Er befestigte den Verband mit einem Knoten. Dann füllte er etwas von der Flüssigkeit in einen kleinen Steingutkrug und verschloss ihn sorgfältig. ťHier, das reicht wohl für ein paar Tage. Reib dein Handgelenk morgens und abends damit ein.Ť
ťWas bin ich Euch schuldig, Bruder?Ť Franz ging nicht mehr auf Benedikts gute Ratschläge ein und zahlte die wenigen Heller. Den Krug wickelte er in die Filzdecke, in der er sonst die Laute trug.
ťAber nicht trinken!Ť, mahnte Bruder Benedikt noch. ťDavon kannst du blind werden.Ť
Dann machte Franz sich auf den Weg durch die Stadt. Wenn er nicht spielen sollte und im Augenblick fühlte er sich auch nicht danach , hatte er Zeit. Er konnte über den Markt streifen und sich die fremdartigen Waren betrachten, die dort angeboten wurden.
Zuerst ging er zum unteren Markt und behielt die Umgebung aufmerksam im Auge. Hier irgendwo hatte er Werner gesehen. Er würde sich gern noch einmal mit ihm treffen, die Abenteuer der letzten Jahre besprechen, den berühmten Wein des Wormsgaus genießen. Alheit hatte Werner gestern heftig abgefertigt, nur gut, dass sie heute nicht dabei war.
Er traf Werner vor dem Stand des Thüringer Schalmeibauers, der seine minderwertige Ware als Arbeit von Timo Widner ausgab und teuer zu verkaufen suchte. Doch während dort Emich der König Instrumente ausprobierte, bei jedem den Kopf schüttelte und seine riesige Gestalt immer bedrohlicher aufrichtete, stand Werner mit großen Augen abseits. Franz trat neben ihn. ťMan könnte hier den ganzen Markt leerkaufen, nicht?Ť
ťEine Schalmei würde mir schon reichen.Ť Ein tiefer Seufzer begleitete Werners Antwort.
ťHattest du nicht eine, von Timo Widner?Ť
ťDie ist hin.Ť
ťUnd was spielst du jetzt?Ť
ťPsalter.Ť
ťNa, das ist ein Unterschied. Wie bist du denn dazu gekommen?Ť Franz entfernte sich langsam von dem Stand der Verlockungen und hielt auf ein Weinhaus zu.
Werner folgte ihm zögernd. ťOhne Instrument habe ich eine Weile gebettelt. Dann wollte ein Zisterzienserpater wissen, ob ich überhaupt singen kann
Ť
Franz lachte auf.
ťJa, eben.Ť Werner blieb neben der Tür des Weinhauses stehen. ťEr hat mich ein paar Messen singen lassen und meinte, ich sollte doch das gottlose Leben aufgeben.Ť
ťJetzt geh schon hinein.Ť Franz drängte ihn sanft in Richtung Tür.
ťErlaubt dir dein Drache so etwas?Ť
ťAch komm, wir müssen doch unser Wiedersehen begießen.Ť
ťJa, aber einer von uns muss
Weitere Kostenlose Bücher