Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
meinen das, ich habe sie nicht persönlich vernommen. Diese besagte Mannsperson soll das Bahnhofsgelände nach Norden laufend verlassen haben, also nach Zwillehall, da kommt man ja gut weg. Die Zeugin kam gerade aus dem Bahnhofsgebäude und sah nur noch seinen Rücken. Aus mindestens zwanzig Metern Entfernung.«
»Im Dunkeln?«, fragte Van Veeteren.
»Mindestens Halbdunkel. Es gibt ja immerhin ein bisschen Beleuchtung dort. Nein, das ist natürlich nicht viel, aber wenn noch jemand daran zweifelt, dass Gassel wirklich ermordet wurde, dann ist es an der Zeit, diese Zweifel abzulegen.«
Van Veeteren betrachtete seinen Zigarettendrehapparat und kratzte sich unterm Kinn.
»Ich habe nie daran gezweifelt«, sagte er. »Nun ja, das ist ja immerhin etwas. Ich muss mit Ulrike offenbar mal über die Fernsehreparatur reden. Hat Reinhart vor, häufiger aufzutreten?«
»Ich denke nicht«, sagte Moreno. »Ehrlich gesagt. Aber es ist noch ein interessanter Hinweis gekommen.«
»Ja?«
»Ein Kellner draußen in Czerpinskis Mühle. Er behauptet, er habe Monica Kammerle und einem älteren Mann irgendwann Anfang September Essen serviert.«
»
Monica
Kammerle?«
»Ja, die Tochter, nicht die Mutter. Mit älterem Mann meint er, dass der Betreffende deutlich älter war als das Mädchen. Vielleicht so um die Vierzig, er ging davon aus, dass es sich um Vater und Tochter handelte.«
»Personenbeschreibung?«
»Fehlanzeige. Nichts, woran er sich erinnern kann. Er ist auch ein bisschen unsicher, ob es wirklich Monica Kammerle war, unglücklicherweise war er verreist, als die Zeitungen damals drüber geschrieben haben.«
»Typisch«, sagte Van Veeteren.
»Ja«, stimmte Moreno zu. »Nur zu typisch. Das sind also in diesem Fall die neuesten Neuigkeiten. Man kann das wohl kaum als einen Durchbruch bezeichnen, aber wir arbeiten natürlich weiter daran. Früher oder später wird sich ja wohl etwas ergeben.«
»Lass es uns hoffen«, sagte Van Veeteren. »Und wenn es ein neues Opfer ist.«
Moreno blieb eine Weile schweigend sitzen und dachte über diese Möglichkeit nach, während sie ihren Blick über die Bücherreihen schweifen ließ.
»Glaubst du?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Van Veeteren. »Wenn ich ehrlich sein soll, dann glaube ich das wirklich. Zumindest wenn die Sache mit diesem Fall in Wallburg zusammenhängt. Ich habe letzte Woche mit Münster Badminton gespielt, und er hat behauptet, dass es eine Möglichkeit gibt… dass es sich um den gleichen Täter handeln könnte.«
»Doch, ja«, gab Moreno zu. »Es deutet immer mehr darauf hin. Und wenn es auch zu sonst nichts nutze ist, dann kann die Fernsehsendung jedenfalls die Frauen zu ein bisschen mehr Wachsamkeit ermahnen.«
»Auch das wollen wir hoffen«, sagte Van Veeteren.
Ewa Moreno stand auf.
»Ich glaube, ich verzichte heute auf Literatur«, erklärte sie und lächelte ihn entschuldigend an. »Aber ich darf doch noch mal nach Andrea schauen, bevor ich weitereile?«
»Selbstverständlich«, sagte Van Veeteren.
Sie schlichen sich zwischen den Regalen nach hinten. Ewa Moreno beugte sich über den Wagen, während Van Veeteren hinter ihr stehen blieb und eine Art diffusen Stolzes in sich hochblubbern fühlte.
»Sie ist süß«, sagte Moreno und richtete sich wieder auf. »Unglaublich süß.«
Van Veeteren räusperte sich.
»Natürlich ist sie süß. Ist ja schließlich meine Enkeltochter.«
Nachdem Inspektorin Moreno ihn verlassen hatte, ließ er sich wieder auf der Leiterstufe nieder und schaute noch einmal in den Wagen.
Dann sah er auf die Uhr. Es waren fünfzig Minuten vergangen, seit Marlene zu ihrem Bewerbungsgespräch aufgebrochen war.
Wird langsam knapp mit der Zeit, dachte er und stieß gegen den Wagen. Wäre doch ein Jammer für die arme Andrea, wenn sie eine ganze Stunde mit ihrem Opa verbrächte, ohne ihn überhaupt einmal zu sehen.
Er stieß noch einmal gegen den Wagen, jetzt etwas energischer.
29
In der Nacht zum 9. Dezember träumte Anna Kristeva, dass sie sterben würde.
Oder dass sie bereits tot war. Zwischen die chaotischen, fieberheißen Bilder, die über sie hinwegschwappten, hatten sich auch welche geschoben, die die Beerdigungszeremonie selbst darstellten, daran erinnerte sie sich ganz deutlich, als sie gegen acht Uhr morgens aufwachte, vollkommen durchgeschwitzt und in das klamme Laken eingewickelt. Sie öffnete die Augen, starrte an die Decke und spürte, wie das Zimmer sich um sie drehte. Für eine Sekunde kam ihr der Gedanke, sie könnte
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