Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
fragte Moreno. »Und wo? Und warum?«
»Bei einer Freundin. Sie kennt dort einige Leute. Hat schließlich in Paris gelebt, als sie verheiratet war. Sie ist zu einem Hautarzt gegangen, den sie offenbar in ihrem Bekanntenkreis hatte, und hat ein wenig Hilfe bekommen… ja, sie ist bei dieser Freundin ganz einfach untergetaucht. Hat sich versteckt und ihre Rückkehr vorbereitet.«
Wieder machte sie eine kleine Pause und betrachtete Moreno und Sammelmerk einige Sekunden lang. Als wäre sie dabei, eine Geschichte zu erzählen, die so unglaublich ist, dachte Moreno, dass sie gezwungen ist, immer wieder innezuhalten und sich des fortgesetzten Interesses ihrer Zuhörer zu versichern.
»Schließlich hat sie ihre Mutter angerufen. Ihr erklärt, dass sie am Leben ist, aber dass die Eltern ihre Tochter niemals wiedersehen würden, wenn sie auch nur im Geringsten andeuten würden, dass sie von ihr gehört hätten. Ja, und dann ist sie also vor zwei Wochen bei mir aufgetaucht. Verkleidet als muslimische Frau… um ihr Gesicht auf eine fast natürliche Weise verhüllen zu können. Ihre Bedingungen mir gegenüber waren im Großen und Ganzen dieselben. Ich war gezwungen, sie zu verheimlichen, ganz einfach, es war ja wie ein Schock für mich, dass sie überhaupt noch lebte, und… ja, ich habe versprochen, alles, was in meiner Macht steht, zu tun, um ihr zu helfen. Wie ihr euch vielleicht erinnert, war ich ja eigentlich diejenige, die im Dezember diesen Mann im Keefer’s treffen sollte. Eigentlich. Aber dann bin ich krank geworden, und dann ist es halt so gekommen…«
»Entschuldige einen Moment«, unterbrach Moreno mit einem Blick aufs Tonbandgerät. »Du sprichst also von Maarten deFraan, dem Professor für Anglistik an der Maardamer Universität?«
»DeFraan, ja«, bestätigte Anna Kristeva. »So heißt er. Zuerst wollte sie seinen Namen auch nicht nennen, aber nach ein paar Tagen habe ich ihn doch aus ihr rausquetschen können… aber Ester Peerenkaas ist nicht länger Ester Peerenkaas, das ist das Schlimmste an dem Ganzen. Das ist nicht mehr der gleiche Mensch, in ihrem Kopf gibt es nur noch eine Sache, eine einzige, und zwar, wie sie sich an diesem Mann rächen kann.«
Sie breitete die Arme in einer Geste der Ohnmacht aus.
»Warum kann sie denn nicht einfach zur Polizei gehen?«, wollte Sammelmerk wissen.
»Ja, denkt ihr denn, ich habe sie das nicht auch gefragt?«, schnaubte Anna Kristeva leise. »Glaubt ihr denn, ich hätte nicht Tag und Nacht versucht, sie dazu zu überreden?«
»Aber warum?«, wiederholte Moreno. »Warum nicht die Polizei? Dieser Mann hat doch noch viel mehr auf dem Gewissen, nicht nur Ester Peerenkaas’ zerstörtes Gesicht…«
Anna Kristeva seufzte noch einmal laut und vernehmlich und richtete sich dann auf.
»Weil das nicht genug für sie wäre«, sagte sie. »Eine normale Strafe reicht ihr nicht. Und was Behörden betrifft, so ist Ester von früher her ein gebranntes Kind… ich weiß nicht, ob ihr die Geschichte kennt? Von dem Mann, der ihre Tochter geschnappt und mit ihr verschwunden ist, sie hat zwei Jahre lang darum gekämpft, ihr Recht zu bekommen, bis sie schließlich aufgegeben hat und… ja, so etwas hinterlässt natürlich seine Spu-ren. Sie hat ganz einfach kein Vertrauen zur Polizei. Sie will Maarten deFraan eigenhändig töten… und nicht nur töten, übrigens.«
Moreno erschrak.
»Was meinst du damit?«, fragte sie. »Nicht nur töten…«
Anna Kristeva trank einen Schluck Wasser und schwieg eine Weile, bevor sie antwortete.
»Sie plant, ihn zu foltern«, sagte sie dann mit leiser Stimme. »Ich glaube… ich glaube, sie will ihn irgendwie einfangen und ihn dann schrecklichen Dingen aussetzen. Irgendwelchen Qualen. Das Ganze soll so langwierig wie möglich sein, bevor sie ihn schließlich tötet. Fragt mich nicht, wie das zugehen soll, aber sie ist besessen von dem Gedanken. Das ist das Einzige, was sie noch aufrecht hält, und es scheint, als… als ob es gar nicht um sie selbst ginge. Ich glaube, sie sieht sich als Werkzeug… als Repräsentantin aller Frauen, die von Männern gequält und gefoltert werden. Sie sieht es als eine Mission an, jedwede Unterdrückung zu rächen, der unser Geschlecht im Laufe der Geschichte unterworfen wurde… und es ihn spüren zu lassen. Als wäre sie eine Art Auserwählte. Ich habe ja gesagt, dass sie verrückt ist…«
Wieder schwieg sie eine Weile.
»… aber irgendwie verstehe ich sie auch. Es ist nicht besonders überraschend, dass
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