Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
Tage.
Zweiundsiebzigeinhalb Stunden.
Dann geht sie hinaus.
Das Café hieß Duisart’s und hatte offenbar bis drei Uhr geöffnet.
Es lag in einer der Gassen zwischen Armastenplejn und Langgraacht, es war ihr nie zuvor aufgefallen, aber das hier war auch nicht gerade ein ihr vertrautes Viertel. Das Licht schien schmutziggelb, das Lokal sah ein wenig heruntergekommen aus, aber sie fand eine Ecke, in der sie nicht zu sehen war und auch keinen der vereinzelten anderen Gäste sehen musste, die mit Kaffee, alkoholischen Getränken und Zigaretten über die runden kleinen Plastiktische gebeugt dasaßen. Männer, fast nur Männer. Im Alter so zwischen fünfunddreißig und hundert. Einzeln oder zu zweit. Eine ältere, betrunkene Frau mit einem gefleckten Hund in einer Ecke.
Sie bestellte sich Kaffee und ein Glas Cognac. Der Kellner mit Pferdeschwanz und Nasenring und einer auf die Wange tätowierten Blume schien einen Moment ihr Alter abzuschätzen, zuckte dann mit den Schultern und kam in weniger als einer Minute mit Tasse und Glas auf einem Tablett zurück.
Sie schnupperte an dem Kaffee und an dem starken Getränk im Glas. Alkohol war sie nicht gewohnt, absolut nicht, aber eine Stimme in ihr sagte, dass sie ihn jetzt brauchen würde. Etwas Starkes. Etwas Unerlaubtes.
Sie musste klar denken jetzt, ganz einfach. Brauchte Hilfe, um klar denken zu können.
Musste die abgedroschene Filmvorführung ausschalten und weiterkommen. Genau das. Und zwar genau jetzt. Sie kippte das Glas und winkte dem Kellner nach einem zweiten.
Ich habe einen Menschen getötet, begann sie.
Einen Mann, der der Geliebte meiner Mutter war. Und mein Geliebter.
Der verdient hat zu sterben. Verdient hat, nicht mehr zu leben.
Weiter.
Warum? Warum hat er verdient zu sterben?
Weil er sie ausnutzte. Sie selbst und ihre Mutter und ihrer beider unerhörte Schwäche.
Meine Schuld ist nicht groß, fuhr sie fort. Sie ist schmetterlingsleicht. Ich werde sie tragen können, und niemand sonst muss davon wissen. Niemand weiß, was ich gemacht habe, niemand weiß etwas von Benjamin Kerran und mir, und jetzt ist das alles nur noch in meinem Kopf verborgen. Es schmerzt und scheuert und macht mich wahnsinnig, aber es existiert dennoch nur dort. Und es wird vorbeigehen… meine Mutter ahnt nichts und darf auch nichts ahnen, und sollte sonst jemand etwas von unserer Verbindung zu Benjamin Kerran wissen, so hat das nichts mit seinem Tod zu tun… meine Mutter, ich meine, meine Mutter wird mit seinem Tod nicht in Verbindung gebracht werden, es gibt keinen Grund, er hat sie sicher genauso verheimlicht wie mich, und wenn man ihn findet, wird niemand ahnen… die beiden haben sich insgesamt sicher höchstens fünf oder sechs Mal getroffen… nein, es gibt keine Spur, die zu meiner Mutter oder mir führt. Man wird natürlich nach einem Täter suchen oder nach einer Täterin, aber man wird niemals in der Nähe einer engen kleinen Wohnung in der Moerckstraat suchen, deren Deckenhöhe so niedrig ist, dass sogar ein Haustier sich darin ducken würde, es gibt keinen Grund, an so einem Ort nach etwas zu suchen. Und keinen Grund, etwas zu befürchten, keinen Grund, Angst zu haben, keinen Grund…
Der Kellner kam mit dem zweiten Glas, und sie unterbrach ihre Gedanken. Schnitt sie einfach ab, wie man einen zu langen Nähfaden abbeißt. Bezahlte und wartete, bis er sich wieder entfernt hatte. Kippte das Glas in die halb leere Kaffeetasse, wie sie es bei ihrer Mutter gesehen hatte und wie es ihrer Erinnerung nach ihr Vater immer gemacht hatte, und probierte das Gemisch. Gab einen Teelöffel Zucker dazu, rührte um und versuchte noch einmal. Bedeutend besser! Schmeckte fast gut – und wärmte. Sie hatte noch nie geraucht – höchstens ein paar alberne Züge bei irgend so einer peinlichen Tanzveranstaltung in der Fünften oder Sechsten –, aber jetzt wünschte sie sich plötzlich, sie hätte eine Zigarette, an der sie ziehen könnte, während sie in dieser regnerischen Nacht in diesem düsteren Café saß.
Stattdessen kam die Stimme zurück. Der Gedanke an die Stimme. Tauchte wie ein saures Aufstoßen in ihrem Kopf auf, Benjamin Kerrans Ruf aus dem Badezimmer, kurz bevor sie die Tür zuwirft und die Treppen hinunterrast.
Monica!
War das möglich? War das nicht nur Einbildung? Oder ein halluzinatorischer Ruf von der anderen Seite des Grabs?
Oder konnte es tatsächlich sein, dass sie ihn gehört hatte? Dass er wirklich da drinnen von dem warmen Fliesenboden aus gerufen hatte,
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