Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
jetzt aber schlafen.«
»Mm.«
»Gute Nacht.«
»Mm.«
Sie ging zur Toilette. Putzte sich die Zähne. Merkte, dass sie nach Schweiß roch, aber wen zum Teufel interessierte das? Guckte eine Weile die Medikamentenschachteln an, zählte dann aber doch nicht zur Kontrolle nach.
Wozu auch?
Wenn ich tot bin, werde ich Papa treffen, dachte sie.
9
Auf Dunkelheit folgt Licht, auf Stärke folgt Schwäche.
Das hatte sie irgendwo gelesen, vielleicht war es deshalb gar nicht verwunderlich, dass es nach ihrem kühnen nächtlichen Cafébesuch am Sonntag noch ein paar weitere Tage dauerte, bevor sie sich erneut nach draußen wagte.
Einmal, ein einziges Mal, ging ihre Mutter hinunter zu dem Laden an der Ecke und kaufte dort ein, aber Monica blieb drinnen. Sie blieb in ihrem Raum, ihre Mutter in ihrem Zimmer, so war es nun einmal. Die Zeit verfloss und schien sie offenbar gar nicht zu berühren. Als die Mutter, unter Aufbringung all der pathetischen Pflichtschuldigkeit, die zu zeigen sie imstande war, wissen wollte, warum die Tochter nicht in die Schule ging, verschanzte Monica sich hinter einer Grippe, und das genügte als Erklärung.
Sie las und vergaß gleich wieder, was sie gelesen hatte. Schrieb und warf weg, was sie geschrieben hatte, erst am Mittwochabend hatte sie so viel Kraft und Energie gesammelt, dass sie sich in die Bibliothek in der Ruidsenallee traute.
Sie traute sich mit einem Plan dorthin. Er war einfach, und er war ihr im Kopf herumgegangen, seitdem er ihr während einer der schlaflosen Stunden in der Nacht gekommen war.
Wenn Benjamin Kerran vor fast einer Woche tot im Badezimmer gefunden worden war – und so hatte sie sich das eigentlich gedacht –, dann musste darüber doch etwas in den Zeitungen stehen. Alles andere wäre unlogisch.
Also brauchte sie nur nachzugucken. Sie bestellte das Neuwe Blatt und den Telegraaf der letzten sechs Tage, setzte sich an einen freien Tisch und fing an zu blättern. Ruhig und methodisch, überließ nichts dem Zufall. Seite für Seite, Zeitung für Zeitung. Das brauchte seine Zeit, und das dauerte zwanzig Minuten.
Es stand keine einzige Zeile darin.
Nicht ein Wort von irgendeinem mit der Schere ermordeten Kerl im Universitätsviertel. Keine Todesanzeige. Nichts.
Ergo?, dachte sie, während sie durch die aquariumfarbenen Fensterscheiben auf den Markt schaute und dem Blut in ihren pochenden Schläfen lauschte. Was bedeutet das? Was ist passiert?
Die Antwort ergab sich von selbst. Oder besser die Alternativen.
Entweder er hatte es geschafft. Die Schere hatte kein lebenswichtiges Organ getroffen. Er war nur vor Schmerz in Ohnmacht gefallen, hatte sich dann berappelt und die Waffe herausgezogen. War ins Krankenhaus gefahren und wurde dort verbunden. Oder er hatte es allein geschafft.
Oder aber – die zweite Alternative – er lag immer noch ganz einfach tot auf dem Badezimmerboden, genau wie sie ihn verlassen hatte, und wartete darauf, entdeckt zu werden.
Fast eine Woche. War das plausibel? War das möglich? Wann fing man an zu riechen? Wann würden die Nachbarn etwas merken? Die Kollegen auf seiner Arbeit?
Sie schob den Zeitungsstapel beiseite und ließ die Gedanken zwischen den beiden Möglichkeiten hin und her treiben. Versuchte, sie abzuwägen und herauszufinden, welche die wahrscheinlichste war.
Wenn er es überstanden hatte, wenn er lebte, dachte sie, während sie das kalte, merkwürdig langsame Erschauern zu ignorieren versuchte, das sich langsam ihr Rückgrat hinauf arbeitete, hätte er dann nicht von sich hören lassen? Hätte sie dann nicht etwas davon erfahren?
Sie holte ein paar Mal tief Luft und versuchte, klar zu denken. Sicher schien es unheimlich merkwürdig, dass er dann keine Art von Gegenzug gemacht hatte, oder? Es konnte ihm doch nicht entgangen sein, dass sie versucht hatte, ihn zu ermorden. Selbst wenn er während der kritischen Sekunden das Gedächtnis verloren haben sollte, musste die Schere ja wohl Beweis genug sein für das, was passiert war. Das konnte ihm nicht einfach so passiert sein. Sie – die heimtückische sechzehnjährige Monica Kammerle – hatte die Absicht gehabt, ihn umzubringen, das war gar nicht misszuverstehen.
Mordversuch. Sie überlegte, eine wie hohe Strafe so ein Straftatbestand nach sich ziehen konnte.
Ein paar Jahre? Ganz sicher. Aber natürlich weniger, als wenn sie wirklich mit ihrem Vorhaben Erfolg gehabt haben sollte.
Natürlich war es Notwehr gewesen. Vielleicht hieß es dann Totschlag. Totschlagsversuch?
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