Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
Mitte August einen Job zu haben, Physiotherapeuten mit gutem Examen wurden gesucht… aber jetzt, heute und noch die nächsten sieben Wochen war Sommer. Einzig und allein Sommer, Sommer und noch mal Sommer. Und Freiheit – sie hatte genügend Geld, um ein paar Monate zu überleben – und kein Ditmar, er schien endlich begriffen zu haben, dass ihre Beziehung beendet war. Endlich auch das.
Es gibt also nichts Ungeklärtes mehr, was da vor sich hinbrodelt, dachte sie. Kein alter Dreck, der ihre Zukunft trübte. Absolut nichts.
Nur diesen Kerl. Diesen Typen. Sie überlegte, ob er auf einem Trip war, irgendwas stimmte nicht mit seinem Blick. Er sah so abwesend und gleichzeitig konzentriert aus, wie sie auszusehen pflegten, die Junkies, als würden sie auf einer ganz anderen Frequenz senden als alle anderen Menschen.
Was sie genau genommen auch taten. Sie tanzte weg von ihm und schloss sich Birthe, Claude und den anderen an. Sissel und Maarten hatten offenbar ernstlich zusammengefunden und keinen Blick mehr für andere, aber es gab immer noch eine kleine Gruppe auf dem Tanzboden, die solidarisch ohne Paarbindung tanzte. Claude warf ihr einen aufmunternden Blick zu, und sie überlegte, ob er nicht vielleicht ein bisschen scharf auf sie war. Oder ob er nur blau war, es kam vor, dass er in schärfste Flirtlaune geriet, wenn er etwas angeschickert war, jedenfalls behauptete Birthe das.
Aber was ist schon dabei?, dachte sie und erwiderte seinen Blick, während sie ein paar weiche Hüftbewegungen machte, unschuldig und gleichzeitig so bedeutungsvoll, dass nur der sie deuten konnte, der sich bereits seinen Teil dachte. Zumindest versuchte sie, genau diese Balance zu finden.
I’ll Be Your Baby Tonight
ging zu Ende. Applaus, Rufe und Pfiffe ließen keinen Zweifel an der Begeisterung aufkommen, die Bandmitglieder bedankten und verbeugten sich, der Sänger erklärte, dass es jetzt etwas softer werden würde. Drei der Musiker verließen die Bühne, nur der Sänger und der Sologitarrist blieben mit einem der Backgroundmädchen zurück.
Der Sänger kündigte jetzt
Tomorrow Night
vom Album
Good As I Been to You
an. Scheiße, dachte Kristine. Jetzt kommt Paartanz. Sissel und Maarten wiegten sich bereits eng umschlungen. Birthe hatte ihre Arme um Claude gelegt, und so sah es auf dem ganzen Parkett aus. Der Gitarrist schlug den ersten Akkord, und der Typ baute sich vor ihr mit neuer Glut im Blick auf. Sie schaute sich hastig um und erblickte die Rettung.
Er lehnte an einem Pfeiler, ein Bier in der Hand. Sah gut aus. Normal zumindest. Schwarze Jeans und kurzärmliges weißes Hemd. Leicht sonnengebräunt. Etwas zu alt vielleicht, aber Scheiß drauf. Sie war innerhalb einer Sekunde bei ihm.
»Bitte, tanz mit mir.«
»Oho?«, sagte der Mann und sah überrascht aus.
»Ich meine, darf ich bitten? Da ist ein Kerl, der wie eine Klette an mir hängt.«
Sie deutete über die Schulter, und der Mann nickte. Durchschaute sofort die Situation. Stellte sein Bierglas auf den Tisch und lachte.
»All right. I’ll be your bodyguard tonight.«
Kristine Kortsmaa stellte plötzlich fest, dass sie kein bisschen mehr wütend war.
Sie begriff, wie betrunken sie doch war, als er ihr helfen musste, den Schlüssel ins Schlüsselloch zu schieben.
»Mein Gott«, sagte sie. »Aber ich hatte wirklich einen Grund, ein bisschen zu feiern.«
»Ach ja?«, fragte er und hielt ihr die Tür auf. »Welchen denn?«
»Mein Examen. Ich bin heute mit meiner Physiotherapeutenausbildung fertig geworden. Oder besser gesagt gestern. Schluss mit Pauken, oh ja,… willst du mit reinkommen? Eigentlich nehme ich keine Männer mit zu mir rein, aber wir können uns ja noch eine Weile unterhalten. Wenn du willst, meine ich…«
Er schaute auf die Uhr.
»Ich weiß nicht. Das Tagungsprogramm ist ziemlich dicht. Und morgen früh um neun muss ich schon wieder auf den Beinen sein.«
»Ach, nur kurz, ja?«
»All right«, sagte er. »Eine Viertelstunde.«
Eine halbe Stunde später tanzten sie wieder. Aber ob man das überhaupt tanzen nennen konnte? Sie standen eher eng beieinander und wiegten sich, sie barfuß, er in Strümpfen. Wieder Dylan, jetzt von ihrem neuen CD-Player. Dunkel im Zimmer, aber nur ein weiche Sommerdunkelheit – denn die Balkontür stand offen und ließ den schweren Duft von blühendem Jasmin und Geißblatt herein. Sie konnte seine Erregung an ihrem Bauch spüren und schloss die Augen.
Das hätte sie nicht tun sollen. Die Augen schließen.
Der Raum
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