Die Schwarze Armee 02 - Das Reich der Dunkelheit
geschieht mit dir dasselbe. Es ist unausweichlich.“
„Woher weißt du das? Hier erzählt einem doch keiner was.“
„Wenn du dein Ohr an einen der Felsen legst, kannst du Stimmen hören. Die Felsen sprechen, weil sie aus Seelen gemacht sind.“
Wenn es stimmte, was der Demoniquianer sagte, so bedeutete es, dass Menschen niemals aufhörten, sich zu verwandeln. Selbst nach ihrem Tode nicht. Genau das hatte Arquimaes ihm bereits erzählt.
Stunden später fragte sich Arturo, wie lange sie wohl schon gegangen sein mochten. Doch er wusste keine Antwort darauf. Es war, als hätte sein Gehirn aufgehört zu arbeiten. Er hatte lediglich das Gefühl, dass er bereits sehr lange unterwegs sein musste.
Die Landschaft veränderte sich sozusagen nie. Alles hier war grau, monoton, langweilig.
Die einzige Abwechslung boten die Engpässe, die sie bisweilen durchschreiten mussten.
„Wachsen hier keine Bäume?“, fragte Arturo seinen Begleiter. „Oder wenigstens hier und da ein wenig Gras?“
„Hier wächst nichts“, antwortete der General. „Dieser Ort ist die Negation des Lebens.“
„Aber du machst den Eindruck, als lebtest du.“
„Ich bin tot. Bald werde ich jeden Begriff von Zeit, Kälte, Wärme, von den Dingen und von Proportionen verloren haben. Ich werde dahinvegetieren, so wie alle diese Idioten um uns herum. Und im besten Falle verwandle ich mich in einen Felsstein. Dann bin ich Teil der Masse, die uns umgibt und auf der wir umhergehen. Niemand wird sich mehr an mich erinnern.“
„Da bin ich ganz anderer Meinung, General“, widersprach Arturo. „Unser Leben hinterlässt viele Spuren. Kinder, Erinnerungen, Werke …“
„Ich wurde geboren, um Demónicus zu dienen. Mein Leben hat eine Spur des Todes und der Verwüstung hinterlassen. Und jetzt werde ich für immer verschwinden. Wenn ich Glück habe, errichtet man für mich eine kleine Statue, die mit der Zeit zu Staub zerfallen wird. Oder mein Name steht auf einer Liste, die mit der Zeit ebenfalls verloren geht.“
„Hattest du keine Kinder, General?“
„Auch sie werden mich vergessen. Sie wollen bessere Menschen sein als ich. Und falls es ihnen gelingt, werden ihre Erinnerungen an mich ausgelöscht werden. Eltern sterben im Gedächtnis ihrer Kinder. Das ist das Gesetz des Lebens.“
„Ich werde Arquimaes nie vergessen, auch wenn ich tausend Jahre alt werden, ein besserer Mensch sein und größere Taten vollbringen sollte als er … Er ist mein Vater, und ich werde mich immer an ihn erinnern. Ganz bestimmt!“
„Arquimaes hat Glück. Ich beneide ihn. Kinder sollten ihre Eltern nicht vergessen.“
Als sie an einen riesigen See aus flüssigem Felsstein kamen, sah sich Arturo außerstande zu sagen, ob Stunden, Tage oder Wochen vergangen waren.
„Es könnte sein, dass sie hier ist“, sagte General Templar. „Aber versprechen kann ich dir nichts.“
Eine unbeschreibliche Welle der Rührung durchflutete Arturo. Der bloße Gedanke daran, dass er seine geliebte Prinzessin schon bald vor sich sehen könnte, erfüllte ihn mit unbändiger Freude. Noch nie in seinem Leben hatte er ein solches Gefühl verspürt.
In dem See und seiner unmittelbaren Umgebung standen Tausende von Menschen. Einigen reichte das Wasser bis zu den Knien, anderen bis zum Kinn.
„Was machen die hier?“, fragte Arturo. „Sie sehen aus wie Vieh, das getränkt wird.“
„Sie weinen. Viele Seelen sind hier, um Trost zu suchen. Diejenigen, die in ihrem Leben eine große Katastrophe erlebt haben oder unter sehr tragischen Umständen gestorben sind, kommen her, denn sie wollen ihren Schmerz lindern. Es ist der einzige Trost, den wir Bewohner des Abgrunds haben. Wir können uns nicht mal beklagen, denn keiner hört uns.“
„Ist auch Alexia hier, um zu weinen?“
„Sie ist untröstlich. Als ich hierhergekommen bin, habe ich sie am Wegesrand gleich hinter dem Eingang getroffen. Sie hat geweint und seitdem nicht mehr damit aufgehört.“
„Hat sie dir gesagt, warum sie weint?“
„Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen darf …“
„Ich bitte dich darum!“
„Sie weint deinetwegen. Sie leidet große Qualen. Sie glaubt, dass du dir dein ganzes Leben lang Vorwürfe machen wirst, weil du sie getötet hast. Aber sie leidet auch deshalb, weil sie dich verlassen hat … Und sie weint um ihren Vater. Alexia ist eine der unglücklichsten Seelen in diesem See der Tränen … Komm, ich werde versuchen, dich zu ihr zu bringen!“
Arturos Herz schlug höher, und das Blut floss
Weitere Kostenlose Bücher