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Die schwarze Feder

Die schwarze Feder

Titel: Die schwarze Feder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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morgen früh wieder, dann frühstücken wir zusammen. Und ich erzähle dir von meiner Urgroßmutter, die ein berühmter Filmstar war.«
    »Ein Filmstar? Welcher denn?«, fragte Howie, erstaunt darüber, dass sein Freund ein so aufregendes Geheimnis bisher für sich behalten hatte, obwohl sie doch so lange miteinander gesprochen hatten, länger als Howie sich je mit jemand unterhalten hatte, seine Mom und Corrine einmal ausgenommen.
    »Sie hat in Stummfilmen mitgespielt, vor langer Zeit. Ihren Namen kennst du bestimmt nicht, aber es ist eine großartige Geschichte. Ich erzähle unheimlich gern von ihr.«
    »Okay, klar, das ist super«, sagte Howie. Er öffnete die Tür zur Gasse und musste blinzeln, weil das Licht so hell war.
    Noch bevor er über die Schwelle treten konnte, kam Ron Bleeker auf ihn zugerannt und stieß ihn brutal zurück. »Da ist ja die alte Hackfresse«, zischte er. »Sag mal, du kleiner Scheißer, was machst du eigentlich da drin, hä?«
    Bleeker war fünfzehn, vier Jahre älter als Howie, und muskulös. Er trug oft ärmellose T-Shirts, damit man seinen Bizeps besser sehen konnte, und von seinem Stoß fiel Howie auf den Boden.
    Die Taschenlampe flog aus Howies Hand. Bleeker trat durch die Tür, ließ sich auf ihn fallen, packte ihn bei beiden Ohren, dem guten und dem hässlichen, und drohte, ihm den Kopf hochzureißen und so auf den Boden krachen zu lassen, dass der Schädel knackste. Die Tür ging langsam wieder zu, der auf den Boden fallende Lichtkeil wurde kleiner, und in der zunehmenden Dunkelheit sagte Bleeker: »Du miese kleine Ratte, was hast du hier – «
    Mit einem Laut, der Überraschung und Schmerz zugleich ausdrückte, brach der Satz ab, und im selben Augenblick spürte Howie, wie Bleekers Körper sich von ihm hob, als wäre er plötzlich in die Luft gestiegen.
    Irgendwo im Dunkeln sagte Mr. Blackwood: »Heb deine Taschenlampe auf, Junge.«
    Howie kroch zu der noch brennenden Lampe, die nun, da die Tür sich vollständig geschlossen hatte, die einzige Lichtquelle darstellte. Sobald er sie in der Hand hatte, kam er auf die Beine und drehte sich verwirrt dorthin um, wo er seinen Freund und seinen Feind vermutete.
    Die beiden waren vereint und boten einen erstaunlichen Anblick. Eine von Mr. Blackwoods Händen schloss sich um den Hals von Ron Bleeker, die andere Hand umklammerte dessen Weichteile. Bleeker schwebte in der Luft, wodurch seine Beine schlaff herabhingen. Entsetzt rollte er mit den Augen, als der Schein der Taschenlampe auf das Gesicht seines Peinigers fiel.
    »Versuch bloß nicht, nach mir zu schlagen«, sagte Mr. Blackwood zu Bleeker, »sonst zerquetsche ich alles, was ich in meiner linken Hand halte. Ich zerquetsche es und reiße es ab, dann kannst du für den Rest deines Lebens Mädchenkleider tragen.«
    Bleeker sah nicht so aus, als hätte er die Absicht oder die Kraft, nach Mr. Blackwood zu schlagen. Tränen liefen über sein Gesicht, das so bleich und glitschig aussah wie der Bauch eines Fischs. Aus seinem Mund kam ein erbärmliches Wimmern, das an ein Kätzchen erinnerte.
    »Du gehst nach Hause, Junge«, sagte Mr. Blackwood zu Howie. »Ich will mich ein wenig mit deinem Freund hier unterhalten. Ihm ein wenig den Kopf zurechtrücken.«
    Wie gelähmt stand Howie da und staunte darüber, dass Bleeker, vor dem er sich so lange gefürchtet hatte, nun plötzlich völlig hilflos war und so klein aussah wie eine ramponierte Puppe.
    »Wenn du nichts dagegen hast«, sagte Mr. Blackwood. »Bist du damit einverstanden, dass ich diesem jungen Mann die neuen Regeln erkläre, die ab jetzt gelten?«
    »Klar«, sagte Howie. »Ist in Ordnung. Dann gehe ich jetzt einfach. Ich gehe nach Hause.« Auf dem Weg zur Tür warf er noch einen Blick über die Schulter. »Die neuen Regeln.« Er öffnete die Tür, trat hinaus und schaute noch einmal zurück. »Morgen früh sollten Sie mir die neuen Regeln vielleicht auch erklären. Ich glaube, die muss ich kennen. Damit ich dafür sorgen kann, dass jeder, na ja, sich daran hält.« Er machte die Tür zu.
    Benommen und erstaunt zugleich ging er die Gasse entlang, durch Licht und Schatten. Er hatte den Friedhof von St. Anthony schon fast hinter sich, als seine halbe Trance wie ein Schleier von ihm glitt und ihm die ganze Bedeutung dessen, was da gerade geschehen war, bewusst wurde. Auf dem restlichen Weg nach Hause grinste er übers ganze Gesicht.

Kapitel 4
    Vielleicht wurde Howie auch zum Träumer, der tagsüber schlief und die ganze Nacht lang wach

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