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Die schwarze Feder

Die schwarze Feder

Titel: Die schwarze Feder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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vor. Die Lampe war sogar weniger hell als sonst, denn ihre Batterien waren schwächer geworden, was Howie in seiner Aufregung bis jetzt nicht aufgefallen war. Daher war der Lichtstrahl nun eher gelb als weiß und an den Rändern verschwommen.
    »Mr. Blackwood? Tut mir leid, dass ich Sie störe! Ich bin’s, Howie!«
    Irgendetwas stimmte mit seiner Stimme nicht; die klang so verändert, als gehöre sie einem ganz anderen Jungen. Sie kam ihm schwächer und dünner vor als gerade eben noch, und auch ihr Widerhall von den fernen Wänden hörte sich anders an.
    Weil Mr. Blackwood gesagt hatte, er habe seine Sachen in der Nähe der Hintertür deponiert, ging Howie in diese Richtung. Auf weitere Rufe verzichtete er, weil seine schwache Stimme ihn beunruhigte.
    Einige Schritte rechts von der Hintertür fand er die Sachen. Ein eng eingerollter und mit Gurten zusammengehaltener Schlafsack. Ein Rucksack, dessen oberstes Fach offen stand. Auf dem Boden klebten zwei dicke, halb heruntergebrannte Kerzen, umgeben von erstarrtem gelbem Wachs.
    Neben den Kerzen lagen die Fotos, die Howie von daheim mitgebracht hatte. Zwei davon, das mit dem Haus und das mit der Garage unter der uralten Buche, waren in vier Stücke gerissen.
    Nur das Bild von Howies Mutter und Schwester war unversehrt. Es lag direkt vor einer der erloschenen Kerzen. Offenbar hatte Mr. Blackwood es im flackernden Licht betrachtet. Howie hob es auf und schob es in eine Gesäßtasche seiner Jeans.
    Howie war niemand, der in den Sachen anderer Leute herumschnüffelte. Dennoch fiel ihm auf, dass sich im obersten Rucksackfach, dessen Klappe zurückgeschlagen war, mehrere Bündel Fotos befanden, die von Gummibändern zusammengehalten waren. Es waren Aufnahmen aus dickem Papier mit weißem Rand, die offenbar aus einer alten Polaroidkamera stammten.
    Wie am Nachmittag, als er Ron Bleeker in den Händen von Mr. Blackwood zurückgelassen hatte, damit er die neuen Regeln lernte, geriet Howie in eine halbe Trance, während er nach einem der Fotostapel griff. Merkwürdigerweise sah die Hand, mit der er das tat, nicht wie seine eigene aus. Sie kam ihm so durchscheinend und substanzlos vor wie die Ektoplasma-Hand eines Geistes aus den Geschichten über Séancen, die Mrs. Norris, ihre frühere Mieterin, gern erzählt hatte. Howie hatte das Gefühl, vielleicht schon tot zu sein, ohne es zu wissen, so wie auch Gespenster, die irgendwo spukten, manchmal nicht wussten, dass sie zu Geistern geworden waren.
    Er streifte das Gummiband von den Fotos. Im zitternden Schein der Taschenlampe sah er, dass das oberste Bild ein hübsches Mädchen mit blondem Haar und grünen Augen zeigte. Sie sah sehr unglücklich aus. Nein. Nicht unglücklich. Verängstigt sah sie aus.
    Auf dem zweiten Foto sah man dasselbe Mädchen, das sich für Halloween geschminkt hatte, und zwar ausgesprochen gruselig. Ihr Gesicht sah so aus, als hätte man es an mehreren Stellen aufgeschlitzt. Das hatte sie gut hinbekommen.
    Das dritte Bild zeigte ein hübsches Mädchen mit braunem Haar, das ebenfalls verängstigt aussah. Auf dem vierten Bild lag dasselbe Mädchen nackt auf dem Rücken. Mit ihrem Körper hatte man Dinge getan, die keine Schminke waren.
    Die losen Fotos glitten Howie aus den Fingern und fielen verstreut auf den Rucksack. Auch die Taschenlampe rutschte ihm aus der Hand und schlug mit einem harten, kalten Geräusch auf dem Boden auf.
    Einen Augenblick später glaubte er, irgendwo in der Dunkelheit noch etwas anderes gehört zu haben, einen metallischen Ton. War es die Metallkappe eines Stiefels gewesen, die über eine Fliese schabte?
    Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Mit stockendem Atem hob Howie rasch die Taschenlampe auf und entfernte sich rückwärts von der Richtung, aus der das Geräusch seiner Meinung nach gekommen war. In einem derart großen, dunklen Raum konnte das Gehör einen jedoch leicht täuschen, und nach einigen Schritten hatte er das Gefühl, sich geirrt zu haben. Er änderte seine Richtung, bis er nach zwei, drei weiteren Schritten mit dem Rücken an etwas stieß. Erschrocken drehte er sich um, hob die Taschenlampe und sah die Leiche von Ron Bleeker an der Wand hängen. Sie wurde von einem riesigen Messer an Ort und Stelle gehalten, das sich durch den Hals bohrte und das Kinn anhob. Bleekers Wangen beulten sich grotesk aus, als hätte man ihm etwas ziemlich Großes in den Mund gesteckt. Die Lippen waren mit Klebeband verschlossen und die Augen weit aufgerissen. Letztere hatte er noch, aber die

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