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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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schließlich fragte: »Es ist mir jetzt doch hoffentlich gestattet zu gehen?«
    »Selbstverständlich können Sie gehen, Sir. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie noch ein paar Minuten lang hierbleiben würden.«
    Dazu erklärte ich mich übellaunig bereit. Er verließ den Raum, und ich wartete. Tatsächlich vergingen zwanzig Minuten, bevor er wiederkam. Und während ich so in dem fast dunklen, stillen Zimmer saß – denn aus dem übrigen Haus war kein Laut zu vernehmen –, drängte sich mir mit der Gewalt einer Offenbarung der Gedanke auf, daß irgend jemand diese gräßliche Tat begangen haben mußte, jemand, der vermutlich immer noch nur wenige Minuten von dem Ort entfernt war, an dem ich mich gerade befand. Ich versuche nicht an das zu denken, was ich gesehen hatte. Der plötzliche Einbruch derartiger Brutalität in mein Leben betäubte mich, und ich hatte das Gefühl, als ob der Raum, in dem ich mich befand, nicht wirklich sei. Seit meiner Schulzeit hatte ich kein Blutvergießen infolge von Gewaltanwendung mehr erlebt. Außerdem waren die Fragen des Sergeanten zu Austins Person besorgniserregend. Natürlich hatte er sich während der letzten Tage sehr seltsam betragen, aber ich hatte keinen Grund zu der Annahme, daß zwischen seinem Verhalten und dieser schrecklichen Tat irgendein Zusammenhang bestand. Er schien nicht weniger schockiert zu sein als ich.
    Endlich kehrte der Sergeant zurück, setzte sich und sagte: »Sind Sie sich wirklich sicher, was den Zustand der Wohnküche zum Zeitpunkt Ihrer Ankunft betrifft, Sir?«
    »Zum zweiten Mal, Sergeant: Ich bin mir sicher.«
    »Also gut, Sir. Mr. Fickling hat bestätigt, daß Mr. Stonex sehr besorgt wegen der Uhrzeit war. Hat er einen Grund dafür genannt?«
    »Nein, keinen.«
    »Ich hoffe, Sie werden es nicht mißverstehen, Sir, wenn ich Sie jetzt frage, ob an Mr. Ficklings Verhalten in der Zeit, in der Sie bei ihm zu Gast waren, irgend etwas Ungewöhnliches war?«
    »Diese Frage gefällt mir nicht, Sergeant. Haben Sie Mr. Fickling ähnliche Fragen über mich gestellt?«
    »Ich habe dem Herrn genau die Fragen gestellt, die ich ihm stellen muß, Sir.«
    »Das Ganze ist völlig absurd. Ich lehne es ab, irgendwelche Fragen über meine Privatangelegenheiten zu beantworten. Sie haben mit dieser Sache absolut nichts zu tun.«
    »Das verstehe ich, Sir«, erwiderte er mit erbitterndem Gleichmut. »Eine letzte Frage habe ich allerdings noch: Sie haben erwähnt, daß Sie dem Verstorbenen an der Hintertür seines Hauses begegnet sind. Das war gestern nachmittag, nicht wahr?«
    Ich nickte. »Und für welchen Tag hatte er Sie eingeladen?«
    »Für welchen Tag?«
    »Als ich Ihnen diese Frage vor einer halben Stunde gestellt habe, sagten Sie, der alte Herr habe Sie eingeladen, ›in zwei Tagen‹ zum Tee zu kommen. Wenn das gestern war – hat er Sie dann ursprünglich für morgen oder für heute eingeladen?«
    »Ich verstehe, was Sie meinen. Sie haben vollkommen recht, Sergeant. Die Einladung wurde ursprünglich für morgen, Freitag, ausgesprochen. Dann hat er den Termin geändert.«
    »Wissen Sie, warum?«
    »Da müssen Sie Mr. Fickling fragen. Er war derjenige, der es mir mitgeteilt hat.«
    »Mr. Fickling habe ich bereits gefragt. Es hat mich nur interessiert, ob Sie vielleicht auch etwas darüber wissen.«
    »Wenn Sie sich schon bei Mr. Fickling erkundigt haben, kann ich mir nicht vorstellen, warum Sie sich die Mühe machen, mich auch noch zu fragen, Sergeant.«
    »Einfach in der Hoffnung, daß Ihnen mehr dazu einfällt.«
    »Mir paßt Ihre Art nicht, wie Sie zwischen uns beiden hin und her laufen, als ob sie nach Diskrepanzen in unseren Aussagen suchen würden.«
    »Aber nein, Sir. Ich habe nur festgestellt, daß die Zeugen, wenn ich sie gemeinsam befrage, dazu neigen, Einzelheiten zu übersehen. Wenn einer von ihnen etwas ein bißchen anders im Gedächtnis hat als der andere, ist es ihm manchmal unangenehm, darauf hinzuweisen, obwohl seine Erinnerung vielleicht korrekt ist.«
    Ich stand auf. »Wenn ich aufgefordert werde, bei der gerichtlichen Untersuchung als Zeuge aufzutreten, werde ich jede angemessene Frage beantworten, die mir der Untersuchungsbeamte stellt, aber bis zu diesem Zeitpunkt werde ich nichts mehr sagen. Ich hoffe, daß es mir nun endlich gestattet ist zu gehen?«
    Er lächelte und erhob sich ebenfalls. »Sie können selbstverständlich jederzeit gehen, wenn Sie es wünschen. Ich habe weder das Recht noch die Absicht, Sie gegen Ihren Willen

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