Die schwarze Kathedrale
hatte er es in seinem Amtssitz aufbewahrt. War es möglich, daß Freeth, als er die Soldaten in das Schatzamt eindringen sah, die Gelegenheit beim Schopf packen wollte, um sich von der Erpressung zu befreien, indem er versuchte, das Original der Schenkungsurkunde zu vernichten und die Zerstörung den plündernden Soldaten in die Schuhe zu schieben?
Ich zahlte meine Rechnung und machte mich auf den Weg zur Zunfthalle.
Freitag nachmittag
Ich wurde in einen großen, zugigen, mit schwarzem Eichenholz getäfelten Saal gewiesen, der an diesem dunklen Nachmittag nur spärlich mit einigen Gaslampen beleuchtet war. An den Wänden hingen riesige Ölgemälde von früheren Bürgermeistern – ziemlich lächerlich in die Uniform der örtlichen, berittenen Miliz gekleidet, oder, noch grotesker, hoch zu Roß.
Ich war absichtlich relativ spät gekommen. Eine Reihe von Leuten saß bereits auf den Bänken im vorderen Teil des Saales, darunter auch Sergeant Adams und Major Antrobus. Ich fand hinter ihnen einen freien Platz und hoffte, daß sie mich nicht bemerken würden. Ein paar Minuten vor Beginn der Verhandlung erschien Austin mit Slattery. Sie sahen mich offensichtlich nicht und setzten sich auf die andere Seite des Ganges. Kurz darauf wurden die Geschworenen, bestehend aus fünfzehn förmlich gekleideten Männern, von einem Bediensteten hereingeführt und in ihre Geschworenenbank gewiesen. Und dann erschien der Untersuchungsbeamte, der Coroner, und setzte sich auf seinen Platz vor den Zuhörern. Er war ein kleiner Mann mit feinem Gesicht und rosiger Haut, der einige Jahre älter zu sein schien als ich. In diesem Augenblick kam Dr. Locard in den Saal geeilt, begleitet von einem kahlköpfigen Mann von etwa fünfzig Jahren. Er entdeckte mich, lächelte und setzte sich zu meiner Überraschung neben mich, während sein Begleiter auf seiner anderen Seite Platz nahm.
»Das ist Mr. Thorrold«, flüsterte er, »der Anwalt des verstorbenen Mr. Stonex.«
Wir reichten uns über Dr. Locard hinweg die Hand, hatten aber keine Zeit mehr, noch etwas zu sagen, bevor die Verhandlung begann. Ich wunderte mich zunächst, daß Dr. Locard in Begleitung des Rechtsanwalts des Ermordeten gekommen war, bis mir einfiel, was Quitregard mir über das Interesse des alten Herrn an der Chorschule erzählt hatte.
Der Coroner erklärte, daß er und die Geschworenen am Vormittag in der Leichenhalle gewesen seien, um den Toten in Augenschein zu nehmen, sowie im neuen Dekanat, um den Tatort zu inspizieren. Die Identifizierung des Toten sei in seiner Gegenwart und in Anwesenheit der Geschworenen von dem ersten Angestellten des Verstorbenen, Mr. Alfred Wattam, vorgenommen worden. Dr. Carpenter wolle noch an diesem Nachmittag seine Aussage zur Todesursache machen. Er sei jedoch leider zu einem dringenden Fall gerufen worden und könne deshalb erst später in den Zeugenstand gerufen werden.
Als erster Zeuge trat Major Antrobus auf. Er stand selbstbewußt im Zeugenstand, die großen Hände auf das Geländer gelegt.
»Herr Major, was fanden Sie vor, als Sie das Haus des Verstorbenen betraten?« fragte der Untersuchungsbeamte.
»Es war durchsucht worden, und ich war mir auf der Stelle darüber im klaren, daß es sich um einen Raubmord handeln mußte. Die Aussage der beiden Herren, die bei Mr. Stonex zum Tee eingeladen waren, bewies, daß das Verbrechen in der halben Stunde vor sechs Uhr begangen worden war. Die beiden Zeugen berichteten, sie hätten gehört, daß der Kellner Perkins an die Vordertür klopfte, als sie das Haus gerade durch die Hintertür verlassen wollten, und zwar um halb sechs, also genau zu der Zeit, zu der Perkins auf Anweisung des Verstorbenen einen Krug Bier bringen sollte. Ich schickte deshalb zwei Beamte los, um Perkins zu holen. Als ich ihn später vernahm, leugnete er jede Kenntnis von dem Verbrechen. Er sagte, er sei wie gewöhnlich um vier Uhr zu Mr. Stonex gekommen und habe einen Zettel an der Vordertür vorgefunden, auf dem geschrieben stand, er solle eintreten. Dann habe er festgestellt, das die Tür nicht verschlossen war – etwas, das noch nie vorgekommen war. Aber er sagte, daß er seine Aufgabe in gewohnter Weise erfüllt habe. Er habe das Abendessen auf den Tisch gestellt, das schmutzige Geschirr vom Vortag abgeräumt und sei dann wieder gegangen. Und er bestritt, um halb sechs wiedergekommen zu sein.«
»Hat er etwas davon gesagt, daß der Verstorbene ihn angewiesen habe, noch einmal zu kommen?«
»Das leugnete er. Aber
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