Die schwarze Kathedrale
gibt, folge ich stets dem alten französischen Grundsatz: cherchez la femme . Ich vermute, daß Limbricks Mutter ihren Sohn gegen Gambrill aufgehetzt hat, indem sie ihm die Geschichte immer wieder erzählt hat.«
»Und all die Jahre nährte Limbrick seinen Groll und wartete auf eine Gelegenheit, seinen Dienstherrn zu töten«, stimmte ich zu.
»Und seine Chance kam in der Nacht, in der Gambrill Burgoyne umbrachte.«
»Welch eine Ironie, daß Burgoyne diese ganze Kette von Ereignissen in Gang setzte, indem er damit drohte, Gambrill zu verraten.«
Dr. Locard lächelte. »Gambrill hat jedenfalls gedacht, daß er das vorhätte.«
Ich zögerte. »Und Sie meinen, daß das ein Irrtum war?«
»Den beteiligten Personen war nicht die ganze Geschichte bekannt. Zu dieser Zeit ereigneten sich noch mehrere andere Dinge. Sie wissen, daß die Mordnacht die Nacht des großen Sturms war?«
Ich nickte. »Und Sie wissen auch, daß es den Anschein hatte, als sei durch den Sturm jemand ums Leben gekommen, der in dem alten Torhaus schlief?«
»Ich erinnere mich, daß Dr. Sisterson davon sprach, als wir über Dr. Sheldricks Buch redeten.«
Dr. Locard lächelte grimmig. »Ach ja, die berühmte Geschichte der Stiftung. Ich kann mir vorstellen, daß Dr. Sheldrick davon nichts erwähnt hat.«
»Nein, seltsamerweise nicht.«
»Hat Dr. Sisterson Ihnen dann erzählt, wer damals ums Leben gekommen ist?«
Ich verneinte.
»Es war einer der Chorknaben, ein Schüler der Schule für die Domchorvikare. Er wurde durch ein Stück vom Dach getötet, das auf ihn herunterstürzte. Merkwürdigerweise entstand an dem Gebäude selbst kaum Schaden. Es wurde sogar behauptet, der tote Junge habe eher so ausgesehen, als sei er totgeschlagen und nicht vom Dach erschlagen worden. Sein Bett war von heruntergebrochenen Holzstücken übersät, aber keines davon schien massiv genug zu sein, um ihn getötet zu haben.«
»Ja, hat denn niemand gesehen, wie das Dach einstürzte?«
»Nein. Und es hat auch keiner von den anderen Jungen etwas gehört. Er schlief allein in einer kleinen Kammer direkt unter dem Dach.«
»Glauben Sie, daß zwischen dem Tod des Jungen und den anderen Ereignissen jener Nacht irgendein Zusammenhang besteht?«
»Meinen Sie nicht, daß es schon ein besonderer Zufall sein müßte, wenn keiner bestünde?« Er sah mich nachdenklich an.
»Wenn ja«, antwortete ich, »dann muß ich zugeben, daß ich ihn nicht erkenne.«
»Wenn Nachforschungen über ein Verbrechen angestellt werden, ist die Lösung, die letztlich akzeptiert wird, nicht unbedingt diejenige, die alle Umstände am besten erklärt, sondern diejenige, die den Zwecken der Leute, die die Ermittlungen durchführen, am besten dient.«
Ich ließ seine Worte eine Weile auf mich wirken. »Sie wollen also sagen, daß die Annahme, Gambrill habe Burgoyne getötet, damals allen Beteiligten am besten in den Kram paßte, jedoch nicht der Wahrheit entsprach?«
»Und obwohl einige Leute sehr wohl wußten, daß mehr an der Geschichte dran war, hatten sie gute Gründe, den Mund zu halten.« Er schwieg eine Weile. »Die gestrige Tragödie ist auch so ein Beispiel dafür. Es paßt der Polizei in den Kram anzunehmen, daß es ein einfacher Raubmord war.«
»Dann glauben Sie also nicht, daß der Kellner den alten Herrn umgebracht hat?«
»Im Gegenteil, ich bin sogar fest davon überzeugt, daß er der Mörder war. Aber ich glaube, daß die Polizei das Motiv nicht begreift. Ohne Zweifel hat er gewußt, daß er Mr. Stonex würde töten müssen, wenn er ihn ausrauben wollte – um nicht von ihm angezeigt zu werden. Erscheint es Ihnen nicht als unwahrscheinlich, daß er sich entschlossen hat, ein derart schweres Verbrechen zu begehen, wenn er sich nicht einen wirklich großen Gewinn erwartet hätte?«
»Vermutlich hat er gedacht, daß Geld im Haus sei. Und ich glaube, er hat es auch gefunden.«
»Zwanzig Pfund, das ist alles.«
»Sie sind ja sehr gut informiert, Dr. Locard. Aber für einen Mann in seinen Verhältnissen ist das schon eine enorme Summe. Mehrere Monatseinkommen.«
»Nicht genug, um ein solches Risiko zu rechtfertigen.«
»Ohne mich in diesem Punkt festlegen zu wollen – wie sieht Ihre Erklärung aus?«
»Ich glaube, daß er für den Mord bezahlt wurde.«
»Bezahlt? Von wem?«
»Von denjenigen, die von dem Tod des alten Herrn profitieren.«
»Und wer sollte das sein?«
»Wenn er ohne Testament gestorben ist, dann sind es seine nächsten Verwandten.«
»Und ist er ohne
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